Montag, 9. November 2009

Taiwarm?

„Do you mind a hug?“
Halt, Stop, Schluss – jetzt geht’s zu weit! Ortszeit 3.40 Uhr liege im Bett in einem taiwanesischen Nest in der Nähe von Hsinchu (fünftgrößte Stadt), habe 95 Prozent der Decke an meinen Couchsurfer Cheng-Han abgetreten und der fragt nun nach mehr körperlicher Nähe.
Die letzten 47 Minuten habe ich damit verbracht, dem 23-jährigen extrem schmächtigen, wahnsinnig schulen und arg liebeskummernden Taiwanesen verbal Trost zu spenden, nachdem dessen Freund tags zuvor Schluss gemacht hat (bevorstehender Auslandsaufenthalt und so). Trost und platonischer Beistand auch außerhalb der Geschäftszeiten werden ohne Murren gewährt, aber nach Kuschelei ist mir nun wirklich nicht!

Taiwan offenbart sich mir in den ersten Tagen als reichlich homophiles Eiland. Gastgeber Nummer 1 in Taipeh (Quincy) outete schon im Telefonat (zwecks Wegbeschreibung für den Unterkunftswechsel) mit Nachfolger Cheng-Han sich selbst und den Jungspund: Seiner Stimme nach zu urteilen sei der auch (!) schwul.
Nun denn, denkt man sich weltbewandert, das ist ja nichts ganz Neues auf dieser Tour. Schon in Mumbai konnte mir Kurien aus seinem reichhaltigen Erfahrungsschatz berichten, was es bedeute, in Indien schwul zu sein (hochinteressant!). Sollte also auch hier kein Problem darstellen. Auch auf die Frage „Why did you pick me?“ verbunden mit latent auffordernder Körpersprache lässt sich stets unverfänglich antworten.
Nun aber wimmert es links neben mir in der Koje. Medium begeistert habe ich nach Tröstungsarie schon zugestimmt, dass der Bengel mit im bett schlafen darf, sonst pennt er nämlich nebenan, aber dem nun angemeldete Schmusebedarf muss nachdrücklich entgegengetreten werden. Minutenlanges Entschuldigen von Backbord ist die Folge und sorgt auch nicht gerade dafür, dass ich schneller einschlafen kann...

Doch schon frühzeitig waren hier Kräfte am Werk, um meinen Eindruck zu erhärten (Obacht, Wortspiel), der Taiwanese als solcher sei grundsätzlich und nicht nur aus chinesischer Festlandsperspektive vom anderen Ufer. Zwar schwer nachvollziehbar bei dem Kleidungsstil des ansässigen Jungweibsvolks - der lässt eher Pädophilie befürchten. Aber vielleicht soll die Flucht in die Homosexualität ja nur diesem Trieb zuvorkommen? Man weiß es nicht...
Wer auch immer (Derdaoben?) lenkt mich Unwissenden zumindest gleich beim erstabendlichen Erkundungsfeldzug durch Taipei-City durch den größten städtischen Schwulentreff („228 Peace Park“) – in Sichtweite des schmucken Präsidentenbüros. Ein Schelm, wer ..., aber lassen wir das!

Gewissheit, warum hier scheinbar einsame Herren gemischten Alters nicht nur auf Parkbänken herumlungern, sondern auch Rutsche und Schaukel des Spielplatzes okkupiert haben, erhalte ich noch am selben Abend. In der Folge muss umgehend und heftigst dementiert werden, dass ich den Park aus leicht nachvollziehbaren Gründen des Zeitvertreibs aufgesucht hätte. Ab und an ein Bisschen anstrengend...
Nächste Station (Kaohsiung) ist allerdings bei weiblicher Herbergsmutter, die mit ihrem Freund zusammen wohnt, das sollte dann hoffentlich glatt gehen.

Freitag, 6. November 2009

Der Preis hält heiß

Grüner Rasen, weiße Kugel, 22 Spieler (zwei mit Helm), ein paar hölzerne Schläger und 70 000 frenetische Zuschauer – in Indien ist Kricket wirklich Volkssport Nummer eins. Wenig überraschend, dass dieser Umstand bei Vertretern des offiziellen aber medial arg vernachlässigten Nationalsports Hockey drastische Reaktionen hervorruft (vergleichbar mit Diffamierung hiesiger Fußballspieler als unfitte Hauptschulabbrecher mit limitierter (Spiel-)Intelligenz – „Kricket ist wie Schach, nur ohne Würfel?“).
Jener Meinung schließt sich Weltenbummler Borgmann aus tiefer Verbundenheit natürlich unumwunden an, als er in des Subkontinents Süden (Bangalore) Hoheneichens ehemaligen indischen Hockeygott Vickram „Vickey“ Kanth wiedertrifft (vorne links, er lässt grüßen!). Der ist mittlerweile fast 25, hat einen Hals auf den Nationaltrainer, eine tragende Rolle in einem der indischen Topteams und ist wie alle Inder ein sensationeller Gastgeber – da kommt ganz schnell ein schlechtes Gewissen auf, dass wir uns damals nicht mehr um die beiden Jungs gekümmert haben...

Sehnlichster Wunsch des Weltreisenden? Natürlich in Indien Augenzeuge eine Hockeyspiels zu sein. Ist das machbar? Welche Schuhgröße ich habe und ob ich Stürmer spielen könne, fragt Vickey zwei Telefonate später. Seine alte Mannschaft könne einen Spieler gebrauchen denn heute steigt ein Match.
„Stürmer?? Ist das Spiel wichtig?“ „Ja, einen Nationaltorhüter haben wir schon. Ist ziemlich wichtig, ist das Halbfinale um die regionale Meisterschaft (Ebene: Bundesland).“ *Schluck* „Okeee…?!?“
Drei Minuten später heizt Vickeys Roller durch Bangalore, damit ich, latent zitternd, Sportsachen und Kontaktlinsen aus der Wohnung meines örtlichen Couchsurfers (= Obdachgeber) Kaushal abholen und zwei Stunden später der Mannschaft von Canara Bank vorgestellt werden kann. Vickeys alte Truppe, turniereigener Rekordchampion, stattet mich schnell mit Trikot, Stutzen und Schläger aus, doch während ich gedanklich schon den Torjubel nach entscheidendem 3:2 übe, fängt es zum Ende von Halbfinale eins an zu schütten – Indien halt. Der Grand(!)platz ist binnen Sekunden geflutet („Swimmingpool“) und umgehend wird unsere Partie verlegt. Auf den nächsten Morgen um 7.30 Uhr!

Traktorreifen unter den Augen begleiten mich um 6 Uhr früh zum Treffpunkt (obwohl ausnahmsweise nicht fünf Stunden vor Spielbeginn aufgestanden). Und nicht nur wegen Schlafmangels sondern vor allem aufgrund des spielerischen Niveaus (Regional- bis zweite Liga) bin ich ganz froh, dass ich unseren überdeutlichen 2:1-Sieg komplett von der Bank aus verfolge. FIIINAAAALEEE, ohooo...
Das steigt dank Regenpause noch am selben Abend und ist lokales Highlight: 600 Zuschauer, eine Blaskapelle und die versammelte Prominenz des regionalen Dachverbands sind verblüffte Zeugen, als Team Canara Bank die im Semifinale geschonte „German Wunderwaffe“ in die starting eleven beruft. Meinereiner ist ähnlich überrascht, verspricht jedoch, als Flügelstürmer (links) im Prestigeduell keinen Millimeter Grand(!!)boden preiszugeben.
Sieben Minuten und zwei Ballkontakte später (kein gravierender Fehler, ein nicht entscheidender Block: hoch, abgepfiffen, Todesmut bewiesen) dann folgenschwerer Szene: Borgmann wird zurück an Canaras Bankschalter beordert und das Spiel in der Folge 0:1 verloren. Grmpf! Highlight jedoch zwischendrin: pompöse Teamvorstellung in der Halbzeitpause (Blaskapelle) – „Number 13 ... Mäx“.

Trotz (wirklich unglücklicher) Niederlage, Pokal und Preise gibt es auch für die Zweitplatzierten. Und während hierzulande stets nur Schlägertaschen und T-Shirts den Besitzer wechseln, ist man in Indien einen Schritt weiter: Individualpreis für jeden Akteur von Meister und Vizemeister ist ... ein Dreierset Essenswarmhaltebecher (ein Wort!!!) in den Farben der Saison – endlich mal was Nützliches! Die werden (hübsch glitzernd verpackt) vom Verbandschef himself übergeben, wobei nach diversen Reden namentlich geehrt wird: „And from the Netherlands our very spezial guest, Mr. ... Mäx.“ (echt wahr!) Dazu stemmen wir den dicken Vize-Pokal in die Höhe und nach 50 Euro Reingewinn für den Hallen-Nichtabstieg 2003/04 heimse ich meinen ersten Sachpreis fürs Hockeyspielen ein. Incredible India halt.