Dienstag, 26. Januar 2010

Stadtrundfahrt

Kompetenz ist ja immer so eine Sache, auch und gerade in Ländern mit Sprachbarriere. Nach stürmischem Landeanflug auf Rio Internationale also macht sich Pfadfinder Borgmann mit Adresse des neuen Couchsurfers Diogo (23) im Notizblock auf die Suche nach ebensolcher und wähnt sie schnell (zu schnell?) beim des Englischen mächtigen (!) freundlichen jungen Mitarbeiter am Informationsschalter gefunden zu haben.
Zwei Fragen liegen auf dem Herzen: Wie komme ich ohne Inanspruchnahme des mit 117 Real (46 Euro) als zu kostenaufwändig eingestuften Taxis sondern qua ÖPNV nach Sao Gonzalo, und wo kann man hier eine brasilianische SIM-Karte erstehen?
Sachkundig wird auf Shuttelbus Dings verwiesen, der mich zu Terminal Alvorada bringen soll – von dort dann Weiterfahrt mit noch zu ermittelnder Buslinie. Aus Sicherheitsgründen lasse ich mir den Fahrplan schriftlich geben und werde hernach zum Buchladen Bums entsandt, wo der Handel mit SIM-Karten vonstatten gehen soll. Andernfalls könne ich mich auch an die Drogerie Dings 2 wenden, beide hätten Karten im Sortiment. Ich also hin da.

Erste Enttäuschung im Tempel des gedruckten Wortes: SIM-Karte? Hamma nich! Aber bei besagter Drogerie (nach persönlichen Erfahrungen nur der dritt- bis vierbeste Ort, um nach SIM-Karte zu fragen...) solle ich es mal versuchen. Ich also hin da.
Verdutzte Blicke ernte ich bei der Präsentation meines germanischen Telefonchips. So was habe man hier nicht im Programm. Ein deutsches Produkt wolle ich ja auch har nicht haben, aber auch national ist man bei den Shampoohehlern nicht gut ausgerüstet. Sachkundig zeigt sich allerdings die Auszubildende, die auf das Fachgeschäft für Telekommunikationszubehör im Erdgeschoss verweist.
Dort wird mir fündig und wirft fragende Blicke gen Informationsschalter. Am Tresen der Weisheit kennt man sich also nicht einmal im eigenen Flughafen aus, wie soll das dann erst mit dem Weg in andere Stadtteile sein? Folgerichtig wird also Heimschläfer Diogo angebimmelt und in meine Wegplanung eingeweiht. Jaja, am Terminal dann in Bus 484 wechseln, der fährt dann praktisch vor die Haustür. Läuft doch, also hinein in den Shuttleexpress!

Nach preisgünstiger (7 Real) und zeitintensiver (1,5 Stunden) Stadtrundfahrt vorbei an Copacabana (zwei Mal) und Ipanema gelange ich zu der Auffassung, dass Rio als Stadt Potential besitzt und freu mich bei Ankunft an Terminal Alvorada auf morgige Nachbarschaftsbegehung bei Tageslicht. Jetzt nämlich dunkel weil 22.30 Uhr.
Getrübt wird die Vorfreude allerdings von der desillusionierenden Ansage des ersten befragten örtlichen Busfahrers nach Linie 484 gen Sao Goncalo. Solch Vehikel scheint hier unbekannt, was einen erneuten Anruf in der Casa Diogo nach sich zieht. Wo bist du? Alvorada? Da muss ich erstmal im Internet schauen, wo das ist... Nach Niteroi hättest du kommen sollen. Reichlich spät, die Information!
Die Nicht-Existenz von Linie 484 hat ihren guten Grund, ich bin maximal weit von Terminal Niteroi entfernt, quasi am anderen Ende der Stadt. In einer recht noblen Gegen – zum Glück! Lösungsansatz: Ein Bus gen Zentrum solle bestiegen und dort der Anschlussbus gefunden werden. Na denn, macht noch mal 2.30 Real.

Gegen 23.30 Uhr wird die – zum Glück belebte – Station „Centro“ erreicht, per SMS hatte mein Privatnavigator mir den Anschlussbus vermitteln wollen. Bislang ergebnislos. Display verzeichnet keinerlei Aktivität im Funkverkehr. Im nur logisch folgenden Telefonat wird versucht, mir Bus und Ort meiner Anschlussverbindung mitzuteilen, allerdings mit miesem portugiesischem Akzent und daher vollkommen wirkungslos. Die Anforderung einer weiteren Textnachricht wird bejaht, bleibt aber folgenlos.
Um mittlerweile 0.15 Uhr – zum Glück immer noch reger Menschenbetrieb um mich herum – erneuter Griff zum Hörer. SMS (diverse) seien abgeschickt, wird beteuert, der Versuch fernmündlicher Navigation des Umherirrenden scheitert erneut am Dämon Sprachbarriere. Als Status quo auch um 0.30 Uhr noch intakt ist, wird (latent entnervt, weil seit vier Stunden im Buswahnsinn gefangen) die Besteigung eines Taxis erwogen.
Mit dem Landsmann kann Couchnudel Diogo fließend parlieren und das Reiseziel verorten. Das funktioniert auch mehr oder weniger, allerdings muss der Taxi-Holger mehrfach nach dem Weg fragen und zweimal mein Handy benutzen (um mit Diogo Rücksprache zu halten) bis Landung erfolgt.

Dafür zeigt er Sinn für Humor: Fordert schlanke 150 Real (60 Euro) und reiht damit in der Rubrik Stundenlohn auf vergleichbarer Höhe des Mittleren Managements bei der Deutschen Bank ein. Mit Wut im Bauch und Loch in der deutschen Börse wird der Raubtierkapitalist nach Eintreffen von Navigationswunder und Verhandlungspfeife Diogo (von mir) auf 100 Steine runtergedrückt, bekommt (von mir) die Tür vor der Nase zugeknallt und es bestätigt sich, dass Diogo in seinem minutenlangen Telefonat dem Ritter von der Taxiuhr nicht verklickert hat, dass dieser doch den Touristennepp für diese Fahrt in Grenzen halten möge.
Kassensturz: Gegenüber dem Direkttaxi vom Airport wurden also stolze 7,70 Real (3 Euro) eingespart (durch zu vernachlässigenden Zeitmehraufwand von geschätzten drei Stunden aber inklusive Stadtrundfahrt im Dunkeln), gerade in Krisenzeiten ein nicht zu unterschätzender Betrag, der mir in Hamburg noch beim Dönerkauf noch hilfreich sein kann (wie ist eigentlich der aktuelle Kurs?).
Stimmung um 1.00 Uhr also knapp unter Dachgeschoss, ab auf die Couch. Die bleibt in puncto vertikaler Ausdehnung jedoch klar hinter meinen Erwartungen zurück, Kopf und Bein in erhöhter Lage sein aber gut für den Kreislauf, meint Diogo. Kennt sich in Humanmedizin also auch bestens aus...

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen