Samstag, 29. August 2009

Passierschein A38 (Achtung, Überlänge...)

Asterix lässt grüßen: Wenn ein Weltreisender sich in fremde Hauptstädte begibt, dann sollte er auch gewillt sein, das Alleinstellungsmerkmal der Capitale (Administration / Bürokratie) in vollen Zügen zu genießen. So geschehen seit meiner Ankunft am Donnerstag in Ankara.
Dabei ließ sich der Einstieg noch ganz geschmeidig an, nach Ankunft am Busbahnhof (drei Ankunftsebenen, Wahnsinn!) meistere ich meine erste Solo-Taxifahrt (richtigen Preis gezahlt) zur syrischen Botschaft, um dort Visum zur Durchquerung gen Libanon zu beantragen. Kooperativer Türsteher (Wandschrank) äußert die erwartete Skepsis aber bestellt mich für Fr. 9.30h zur Konsolar-Abteilung (drei Meter weiter links, bis 10.30h geöffnet). Im Zentrum angekommen offenbart Hakan sich meiner. Er interpretiert mein Kartengeblätter als Ortsunkenntnis und führt mich herum (Atatürk-Mausoleum, etc.) bis Couchsurfer Can mich einsammeln soll (gg. 20h).

Als ich den Ritter von der Sofagarnitur gg. 18h anzurufen suche, entpuppt sich meine tolle Idee mit der türkischen SIM-Karte (Vodafone) als zwiespältig: Die Roten haben nämlich nach einer Woche mein Telefon gesperrt. Ich müsse es erst registrieren, wie ich schon aus der Heimat im Internet nachlesen konnte – dort sprach man allerdings von einem MONAT nicht von 7 Tagen. Whatever.
Kollege Hakan Hilfsbereit nimmt mich also spontan an die Hand und in den nächsten Vodafone-Laden (in der Folge „Vodafone-Laden Nr. 1“), wo er fachkundig mit dem Personal parliert. Erfolg bleibt allerdings aus, so geht es weiter zu Turk-Cell – mit ähnlichem Resultat. Hakans dünne Fremdsprachenkenntnis entpuppt sich an dieser Stelle als problematisch, weil er (Beruf: Kellner) mir nur bedingt erklären kann, was das Problem mit meiner Funkgurke ist.
Dafür kennt er jeden zweiten Menschen auf der Straße und weiß, wo die Handy-Technik-Füchse ihre Läden haben – hat nämlich in einer der Buden früher mal gearbeitet... Im vierten Versuch treffen wir um kurz vor 19h (also kurz vor Futter-Erlaubnis im Ramadan!!!) auf helfende Hände (für 24 TL), die meine SIM-Lock-Funktion hacken und ich um 19.20h Can anrufen kann. Registrierung tue aber trotzdem Not, so der Tenor, daher solle ich tags drauf wiederkommen und den Kollegen Motorola anschließend bei Vodafone registrieren lassen.
Fein, denke ich mir. Dann stehe ich früh um 8h (dann machen die Handy-Füchse laut Hakan auf) auf el Matte und eile sodann zu den syrischen Diplomaten und treffe Hakan um 11h wieder im Park und kann später noch ins örtliche Museum.

Nach Bieren mit Can und Freunden am Abend pelle ich mich widerwillig um 7.30h aus dem Schlafsack und finde mich um 8.17h vor dem verschlossenen Handy-Laden ein.
Na fein, mit dem frühen Aufstehen hat es der Techniker wohl nicht, also organisiere ich erstmal Frühstück und meine Route zum Syrer, um um 9.08h erneut auf Status quo zu treffen. Allerdings mit wartendem Mitarbeiter vor der Tür der andeutet, dass die Bude wohl in 5 Minute öffnen müsse. Um 9.30h verlasse ich den Wartebereich kopfschüttelnd mit Ziel Klein-Syrien und kündige baldige Rückkehr an.
Vor der vergitterten Konsularabteilung gibt es die befürchtete Bestätigung, dass ich das syrische Visum in Ankara nur (und wirklich nur!) dann beantragen könne, wenn ich meinen Wohnsitz im Döner-Land habe – den kann ich schlecht nachweisen, kaufe in der Folge eine Packung Kekse und betreibe im Bus zu den Handy-Langschläfern Frustknabbern.
Widererwarten haben Mustafa (spricht englisch) und Co. mittlerweile (10.34h) geöffnet und stellen mein Telefon auf Ursprung zurück (läuft also wieder nicht). Ein kurzer Besuch bei Vodafone solle werde aber mit Sicherheit Abhilfe schaffen, insistiert Dr. Mobil.
Um 11.09h hetze ich gen Park, um Helfer Hakan aufzugabeln. 20 Minuten später gebe ich die Suche auf – entweder ist der Bursche wenig ausdauernd beim Warten oder war nie da oder hat mich versetzt oder was auch immer. Aber das mit dem Registrieren soll ja ganz einfach gehen.

Beim Großkonzern sieht man das allerdings anders: Laden Nr. 1 (der von gestern) sei nämlich „leider“ nicht für Registrierung zuständig, ich möge zu Laden Nr. 2 gehen, in dem ich erfahre, dass Laden Nr. 3 doch eher dafür geeignet sei oder zumindest dazu, mir mitzuteilen, dass Laden Nr. 4 (alles zum Glück fußläufig erreichbar) mit Sicherheit die Registrierungsbude ist. Das kann man dort gg. 12.04h bestätigen, allerdings sind die Servicekräfte mit meinem Einreisestempel nur bedingt einverstanden... Gevatter Sprachbarriere zeigt vollen Einsatz und lässt mich bis heute im Unklaren, was damit nun eigentlich nicht konform war.
In jedem Fall müsse ich zur zentralen Polizeistation (4 Metrostationen nördlich) reisen, mir dort ein Schreiben (heißt leider nicht "A 38") holen, dessen Name mir in Türkisch auf einen kleinen Zettel notiert wird, zu Vodafone-Laden Nr. 4 zurückkehren und meiner Registrierung stünde nichts mehr im Wege. Bevor ich mich in die Hände der Rechtshüter begebe schaue ich zur Sicherheit noch bei Mustafa vorbei, um mir anglophil erklären zu lassen, was ich beim Schutzmann genau machen soll.

Mit gefährlichem Halbwissen im Gepäck reise ich zur Blaulichtfraktion und finde die Hauptstraße vor der Riesenwache für den PKW-Verkehr gesperrt. Grund: Generalprobe für die große Militärparade zum Nationalfeiertag am Sonntag. Während ich also durch die Mittagssonne flaniere knattern ca. 120 Panzer über den Asphalt auf den Exerzierplatz genau vis-a-vis der Wache. Dazu Kampfjets im Formationsflug und Marschmusik samt patriotischer Kommentare aus den Lautsprechern. Eine gute halbe Stunde kann ich mir das Spektakel anschauen, denn die Wache öffnet ihre Pforten erst um 13h.
Drinnen greife ich die erstbeste Politesse ohne Fremdsprachenkenntnis und halte ihr den Vodafone-Zettel unter die Nase. Nach spontaner Mitarbeiter-Besprechung werde ich 200 Meter weiter nach linke zu Eingang D geschickt. Dort ist die Belegschaft ob meines Besuchs hocherfreut und zeigt sich hilfsbereit. Man deutet 200 Meter nach rechts und versichert, dort würde ich bestens versorgt werden. Mit Hand und Fuß kann ich verdeutlichen, wie vertraut mir der Satz vorkommt, und dass „die da“ mich zu Eingang D geschickt haben.
Das wirkt und ich werde in irgendeinen Bereich geleitet, in dem gebrochen Englisch gesprochen wird! Der Vodafone-Zettel wird interessiert studiert, ich erkläre mein Telefon-Registrierung-Stempel-Problem in einfachen Worten, werde an die Hand genommen und in Büro Nr. 1 geleitet. Dort bekomme ich einen DIN A5 Zettel (der aus einem A4 Zettel gerupft wird) und auf dem neben türkischen Schriftzeichen „Vodafone“ und mein Name notiert wird.
Damit gehe ich Büro Nr. 2, bekomme einen roten Stempel darunter und muss dafür sorgen, dass mein Name korrekt in eine Excel-Tabelle transkribiert wird. Mit Zettel Nr. 1 stehe ich etwas hilflos im Warteraum und wende mich an den Infoschalter. Dort nimmt man sich meiner an, führt mich mit Zettel Nr. 1 in Büro Nr. 1, benötigt eine Fotokopie des Reisepasses und bedeutet mir zu warten. Gegen 13.55h bekomme ich Zettel Nr. 2 ausgehändigt, muss auf das Original den Satz „Ich habe dieses Formular gesehen“ auf Türkisch abschreiben und bekomme die Kopie winkend in die Hand gedrückt.

Mit erhobenem Haupt und Ziel Vodafone verlasse ich das Reich des Schutzmanns, und lerne am Metro-Kiosk Esat kennen. Der ist Ingenieur, 34, hat acht Jahre in Kanada gearbeitet und ist nun back in turkey. Zwecks Konversation, Sprachpraxis und Neugier werde ich zu zwei Gläsern Tee eingeladen, wir sprechen über türkische Migranten in Deutschland, Krieg, Demokratie, Menschenrechte, Couchsurfing, die Angst vieler Türken vor einer drohenden stärkeren Islamisierung des Landes und so weiter. Außerdem wittere ich die Chance mit Dolmetscher bei den Telefon-Fritzen aufzukreuzen.
Mit meinem „turkisch canadian“ stürme ich den Vodafone-Laden (Nr. 5) im nahe gelegenen Einkaufszentrum, um dort zu erfahren, dass man hier zwar keine Registrierung vornehmen könne, aber die Kollegen im Turk-Cell-Laden Auskunft geben könnten, ob mein frisch erworbener Wisch für diesen verwaltungstechnischen Vorgang ausreiche. Das bejaht dort die – wie Esat und ich uns schnell einig sind – hochattraktive junge Dame, und ich versichere höchstehrlich, dass ich in Zukunft nur noch bei Turk-Cell SIM-Karten kaufen werde. Nach weiterem Plausch vor der Tür trennen sich Esats und mein Weg, wir tauschen E-Mail-Adressen und ich reite siegesgewiss gen Innenstadt.
Um 15.45h betrete ich Vodafone-Laden Nr. 4, wo man hocherfreut ist, ein bekanntes Gesicht wiederzusehen und sogleich mit den Registrierungsformalitäten beginnt. Ich rufe parallel am shop-internen Rechner meine Mails ab und mache Freudensprünge, als ich in der Post von der deutschen Botschaft Ankara (die hatte ich im Vorfeld angeschrieben) lese, dass sie „nach Rücksprache mit der zuständigen Sachbearbeiterin grundsätzlich“ bereit sei, mir eine Grenzempfehlung für Syrien auszustellen! Montag soll ich dorthin kommen!

Happy End, denke ich mir schwer erleichtert, während sich in meinem Rücken die Vodafone-Minen verfinstern und das Unwort „problem“ die Runde macht.

Wie die Rothemden feststellen, stimmt mein Name in meinem SIM-Karten-Kaufvertrag nicht mit dem im Reisepass und auf dem Polizei-Dokument überein – im Vertrag ist „Borgman“ mit einem „n“ geschrieben. In allen anderen Papieren wie üblich mit zwei. Die auffällige Übereinstimmung von Pass-Nummer, Vornamen, Geburtsdatum, weiteren Merkmalen wie den ersten 7 Buchstaben des Nachnamen sowie die nahe liegende Interpretation, dass einfach nur irgendeine Vodafone-Nase in Istanbul einmal zu wenig auf die „N“-Taste gedrückt hat, können gegen diesen Umstand der Unüberprüfbarkeit der tatsächlichen Identität des Kunden natürlich nichts ausrichten. „New SIM-Card“ presst die Mitarbeiterin (auch niedlich, aber nicht so attraktiv wie die Turk-Cell-Kollegin) hervor und mir wird blümerant.
„Not my mistake“, schimpfe ich und fordere mit Hand und Fuß die Änderung meines Nachnamen im Vertragswerk. Das könne man hier (in Laden Nr. 4) nicht machen, ergibt aus dem bilingualen Disput, das könne nur ein anderer Laden (Nr. 6?). Mit 170 Puls und einer Vodafone-Visitenkarte mit unterstrichener Adresse stapfe ich auf die Straße und marschiere um 16.28h zu besagter Anschrift (wieder fußläufig erreichbar, unerklärlich hohe Vodafone-Dichte in der City...).

Nach diversem Herumfragen und Visitenkarte-unter-die-Nase-Halten lande ich im dritten Stock eines Bürogebäudes, dessen Front sich dadurch kennzeichnet, dass kein einziges Vodafone-Schild sie ziert. Die Kollegen der türkischen AXA-Büros schicken mich einen Gang weiter, wo ich bei einem Dolmetscher für Englisch und Türkisch lande. Der zeigt sich überrascht ob des unbekannten Gesichts, aber interessiert an meiner Geschichte (Handy und Weltreise). Er bestätigt die Übereinstimmung von Adresse und Standort, hat keine Ahnung, wo hier ein Vodafone-Laden sein soll und erklärt mir den Weg zu der zweiten (nicht unterstrichenen Adresse) auf der Visitenkarte, drückt mir dabei seine eigene in die Hand und wünscht mir viel Glück für meine weiteren Welt- sowie Handyreisen.
Schon während seiner Erklärung schwante mir Böses. Und als ich seinen Worten folgend die zweite Adresse der Visitenkarte erreiche, stehe ich um 17.03h vor Vodafone-Laden Nr. 1... Auch hier zaubert mein erneutes Erscheinen ein Lächeln auf des Personals Gesichter und ein Kollege ist zumindest in Ansätzen der englischen Sprache mächtig. Das reicht allerdings offenbar nicht aus, um mein Anliegen erschöpfend zu erläutern – so geschieht dieses qua Dolmetscher in persona seiner Freundin, die in Deutschland aufgewachsen ist und umgehend telefonisch kontaktiert wird. Runde 20 Minuten wandert des Verkäufers Telefon zwischen seinem und meinem Ohr hin und her, bis seine Lebensabschnittsgefährtin mir offenbart, dass ihr Freund mir nun eine Adresse aufschreiben werde, zu der ich tags drauf gehen und dort meinen Namen im Vertragswerk berichtigen lassen solle.
„Auf keinen Fall“, platzt es aus mir heraus. Wenn der „Global Player“ Vodafone nicht in der Lage ist, sein Personal ausreichend in der Tastatur-Benutzung zu schulen, dann solle der Laden dafür gefälligst selber geradestehen und dieses eine verfluchte „N“ in sein System einschleusen. Mit welchen Mitteln auch immer! Der emotionale Auftritt zeigt Wirkung. Fieberhaft hängt die komplette Belegschaft am Rechner und brütet, bis um 17.37h bestätigt wird, dass mein Name im System nun mit meinem Namen in Realität und Dokument übereinstimme. Allerdings könne man die nach wie vor notwendige Registrierung unmöglich hier vornehmen. Dazu müsse ich bitte wieder in Laden Nr. 4 gehen, wird mir unter wiederholter Artikulierung, wie Leid allen alles tut, nahe gelegt.

In Laden Nr. 4 ist man ob meines erneuten Erscheinens, eher überrascht denn erfreut, aber die frohe Botschaft über die systeminterne Namenskorrektur zeigt Wirkung: Um 18.02h rattert der Drucker und spuckt die Registrierungsbestätigung meines Handys für die Türkei aus. 10 TL muss ich dafür noch auf den Tisch legen und erfahre, dass mein Telefon schon in 2 (!) Tagen wieder funktionstüchtig sei – vielleicht auch in zweieinhalb, aber ganz bestimmt ziemlich bald.
Als der Verkäufer mir um 18.09h lächelnd „see you“ hinterher ruft, entgegne ich ebenfalls lachend: „To be honest, I hope not!“ Und wir lachen beide herzlich als ich den Laden verlasse. Sechs Stunden später funktioniert mein Telefon wieder. Montag geht’s zur Botschaft.

Mittwoch, 26. August 2009

Streckennetz

Kann hier durchaus doppeldeutig interpretiert werden. Denn was hat der Reisebus von Istanbul nach Safranbolu (400 km östlich) zu bieten? Freies WLAN mit Internetzugang – ich mag das Land! Schreibe also gerade vom mobilen Büro auf der Autobahn, schon witzig, gell?

Zumal ich gestern nach Absendung von Blogbeitrag auch mein Istanbulbild ein wenig relativieren muss, habe nämlich tatsächlich in den folgenden 14 Stunden drei hochinteressante Gespräche geführt: mit Couchsurfer eins (Can), im Büro der örtlichen Friedrich-Ebert-Stiftung und mit Couchsurfer zwei (Eray). 1A Abschluss, denn seit 7 Uhr Ortszeit (das ist 6 Uhr bei euch!) bin ich auf den Füßen, bin mit Minibus zum ersten großen Busbahnhof Harem (BBH) geholpert (schneller als gedacht im frühen Berufsverkehr), dann Ticket zum Bus bekommen (online bestellt…) und dann auf Shuttle-Bus zum anderen BBH gewartet.

Der kam zumindest 20 Minuten zu spät, so dass ich mir Sorgen machen konnte – Schreibtischtäter Metin beruhigte aber umgehend, der Weg zum zweiten BBH sei nur kurz und tatsächlich noch kurz vor geplanter (und tatsächlicher!) Abfahrtszeit von 9.45 Uhr am (kleinen) BBH sonst wo gelandet. Unterwegs Sprachpraxis für jungen Autodidakten englischer Sprache geboten. Jetzt auf Autobahn, Busfahrer Nummer 2 (doppelt besetzt, schickes Gefährt, top Zustand) hat mir schon Schokoriegel unter der Hand zugesteckt. Ich sach ja, ich mag das Land ;-)

Dienstag, 25. August 2009

Schlendrian in Touristanbul

Denn obwohl Borgmann nach 6 Tagen Bosporus schon morgen wieder das Weite sucht, fehlt noch jeglicher Eintrag im Blog der Bücher. Das soll sich ändern, wenn Istanbul auch nicht soviel Neues hergibt wie die Vodka-Fraktion aus dem hohen Norden. Zum Urlaub machen ist's hier verdammt schön – der Türke (singularis generalis) versteht sein Handwerk im Moscheen- und Palast-Bau und hängt viel im Freien herum – aber der große Erkenntnisgewinn in Sachen Feldforschung bleibt zunächst aus.

Spektakulär allerdings der Vergleich zwischen Touristanbul und Stadtteilen wie Fener oder Balat (beides noch innerhalb der alten Stadtmauern!), wo das Geld nicht soo locker sitzt, Tierkundler Borgmann dafür auf freilaufende Hühner stößt. Die Kunst des Hausbaus ist hier auch weit weniger fortgeschritten, dafür wird vermehrt open air gewaschen. Weil alles nur eine halbe Stunde Fußweg von den maritimen Fischbrötchen-Ständen entfernt, wirkt der Kontrast noch deutlich stärker.

Ähnliches Bild auf des Istanbulers Wochenendinsel (Büyük Ada = Große Insel), ca. 1 Stunde Bootsfahrt vom Stadtkern entfernt: Wer den Lira locker sitzen hat, der leistet sich hier Ferienhaus oder -wohnung und genießt eine praktisch autofreie (nur der Schutzmann fährt motorisiert) Insel mit schönster Natur. Transportmittel Nr. 1 ist der Zweispänner mit mäßig begeisterten Gäulen vorne dran, die sich wohl auch über mangelnde Hufschmiedekünste beschweren würden, wenn sie nicht den Futterbeutel vor der langen Schnauze hängen hätten.

Wehe aber dem Reisenden, der auf dem Weg zum „Strand“ (furchtbar! 14 Quadratmeter Sand mit 649 Liegen besetzt, dazu fette Bässe und Eintrittspreise ab 5 Euro steigend) vom Wege abkommt (bei mir Vorsatz)... Der findet die „Stallungen“ von Kollege Fury und die Verschläge, in denen dem Ross sein Reiter haust. Einzige Parallele, die mir einfällt: die Townships von Südafrika – genau so nur kleiner sieht es mitten auf der schönen Urlaubsinsel aus – das Kontrastprogramm lässt grüßen!

Was folgt also? Richtig, Flucht aus Touristanbul! Anstatt in einer Woche meinen Flieger gen Beirut zu nehmen, werde ich mich (selbigen cancelnd) über Land auf den Weg gen Libanon machen. Also ab in den Südosten von Attatürks Republik, dann rüber nach Syrien und von dort westwärts, westwärts (bis Scharbeutz) und wohl ab dem 8. September den Kollegen Steinhagen von der Arbeit abhalten...

Feindaufklärung erwartet auf dem Weg dorthin ausreichende Infrastruktur zur Fernmeldetechnik, schließlich gibt so mancher Couchsurfer positive Rückmeldung zwecks Unterbringung meiner Person. Auch das türkische Transportwesen soll weitgehend zuverlässig sein, werde wohl trotzdem mal einen Abstecher zur Zunft der Anhalter unternehmen und überprüfen, ob die (bislang mehr als bestätigte) Gastfreundschaft des Türken auch für die eigenen (hoffentlich) vier Räder gilt...

Dienstag, 18. August 2009

Zeitung: Borgmann jetzt auch offline!

Da nach wie vor Regen in Moskau noch schnell wichtiger Hinweis:

Ab dem (kommenden) Wochenende gibt es meine Reise-Berichte auch offline!
Die Lübecker Nachrichten und die Ostsee-Zeitung drucken mein Reisetagbuch ab - wöchentlich immer im Wochenend-Journal und solange wilde Tiere oder chinesische Zensur mich nicht vom Schreiben abhalten können ;-)

Also: kaufen, lesen, weitersagen (speziell den Internt-Muffeln)!

Renat der Große...

... hat nicht St. Petersburg gebaut – sonst hieße es wohl St. Renatsburg. Das war Kollege Peter, der offenbar wie seine zarischen Nachfolger eine Schwäche für runde Stützpfeiler hatte (interessanter Ansatz: versuchen, die Dinger zu zählen...). Und für Gold. Und für Marmor. Und für Fontainen. Eigentlich für alles, was teuer ist und aussieht und sich bautechnisch irgendwie in Gebäuden oder Parkanlagen unterbringen lässt. Dazu Fluss und kleine Kanäle, Brücken ohne Ende (natürlich nicht so viele wie in HH) und ziemlich viel westliches Flair.
Kein Wunder, Touristen an jeder Ecke. Sogar manch Schild in englischer Sprache, was dem Moskowiter fast komplett fremd ist. Entsprechend westlich auch die Jungspunde, Indie-Mode auch hier gerade schwer angesagt – vor allem Karottenjeans.

Die trägt mein Couchsurfer Renat allerdings nicht. Würde auch komisch aussehen, denn der Bursche mist schlaksige 2,11 Meter. Hat erst Basket- dann Volleyball gespielt und versucht sich nun im Trick-Ski. Wie das den Gräten funktionieren soll bleibt mir ein Rätsel. Wohnt in einer sehr geschmeidigen 4er-WG, was mich sofort in Barmbeker Erinnerungen schwelgen ließ – allerdings ist’s bei Renat & Co. etwas beengter. Drei statt fünf Zimmer, Küche etwa 30% unseres damaligen Ausmaßes. Daher auch Parallelen zu einer mir nicht unbekannten Lebensgemeinschaft in der Talstraße erkennbar.
Mitbewohner von 2,11-Renat ist unter anderem Sasha (vorne rechts), der ungefähr halb so groß ist und (trotzdem) als Modell arbeitet – mit der Bande kann man viel Spaß haben! So lerne ich Petersburgs Untergrund-Kultur-Szene kennen, werde Sonntagabend volley in eine Theatershow von Renat und Freunden in einer kleinen Bar integriert und bekomme kurzfristig die Rolle von Renats Ehefrau auf den Leib geschneidert. Das Stück soll irgendwo im Netz kursieren, ich werde mich aber hüten, den Link zu verraten (kenne ihn selber (noch) nicht). Aber ich denke, ich habe für die nächsten 17 Jahre freien Eintritt in dem Laden…

Erster Kontakt in der nördlichsten Stadt meiner Reise war übrigens ein anderer Sasha – Arbeitskollege von Moskau-Tim, bei dem ich wegen Termin-Änderung die erste Nacht pennen konnte. Er wohnt mit Freundin Alina und deren Mama zusammen, die mich sofort ins Familienleben integrierte. Folge: Langer Gesprächsabend mit Mama Ludmilla und Dolmetscher Sasha (der selbst sein Schulenglisch erstmal wieder irgendwo herauskramen musste) samt leckerem Likör aus Estland und Futter ohne Ende!
Hilfreich dabei und beim vorherigen Stadtrundgang mit Sasha und Alina der Universal-Übersetzer „Picture Talk“ – und Alinas altes englisches Uni-Lehrbuch zur Petersburger Geschichte. Stadtführung mal anders aber unter zu Hilfenahme von Hand und Fuß sehr erfolgreich. Außerdem nächtlicher Ausflug auf Hausdach in der Innenstadt mitsamt 1A-Ausblick auf die illuminierte City. Da ist dem Russen das Wort Krise fremd, allerdings haben sie eine Fontaine auf dem Fluss in diesem Jahr wegen Geldmangel abmontiert. Immerhin.

Dafür noch ein Highlight aus der Abteilung Geldadel: Im (falschen) Segelschiff an der Kaimauer sind Fitnessclub, Hotel und Restaurant eingebaut, das ganze von (falscher) Befestigungsmauer mit (falschen) Kanonen umgeben. Und in diesem (falschen) Teich schwimmen – richtig – falsche Enten! Pappkameraden aufs Wasser gepflanzt, um den (falschen!) Panorama-Ausblick zu komplettieren. Manchmal haben die hier wirklich einen kleinen Hau…

Zugfahren auf russisch...

...ist an für sich keine blöde Sache. Hauptunterschied zum ehemaligen Mehdorn-Express (abgesehen vom Preis, über den habe ich ja schon berichtet): das Personal. Während in unseren Gefilden alle drei Jahre mal ein Schaffner vorbeschneit, um den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrkarten zu prüfen, passiert das hier schon beim Einstieg.

Im Klartext: An jedem Wagon (es wird natürlich, russian tradition, nur eine der beiden Türen geöffnet) steht eine Zugbegleiterin und kontrolliert Ticket und Pass – wenn dann richtig! Die Zug-Empfangsdamen sehen nicht nur wegen der Uniform durch die Bank gleich aus, alle etwas viereckig (Schulterpolster schwer in Mode…) Drinnen laufen sie dann munter auf und ab, gerne in Dreierformation, selten alleine und schreien (für mich) unverständliche Sachen. Meine Nachfrage, ob das wichtig sei, was dort gebrüllt (klang ziemlich energisch) wird von links nur mit lächelndem Kopfschütteln quittiert. Inhalt bleibt mir verschlossen.

Was übrigens schon früher auf der Zugfahrt vom Flughafen nach Moscow-City mein Augenlicht entzückte, ist die Wolga-Variante des Mitropa-Wagens: Da ich mich im „Aero-Express“ befand, einem „ziemlich modernen“ Zug mit entsprechender Preisklasse, wurde ich Zeuge dieser post-sozialistischen Schöpfung. Nachdem die (dort einzige!) Zugbegleiterin die Tickets (während der Fahrt!) kontrolliert hatte, kam sie mit einem original Supermarkt-Einkaufswagen voller Süßigkeiten, Getränke, Zeitungen und gebrauchter Bücher (!) wieder durch unsere Reihen spaziert. Auffällig dabei: Es fehlte (wie hier überall) die Ein-Euro-Wegfahrsperre. Mit Pfand-System hat man es hier ohnehin nicht besonders.

Aber zurück zum Großraum-Wagon von vorher, der an ältere DB-Tage erinnert. Vollbesetzt zeichnet er sich durch Vollkunststoff-Sitze aus, die erhöhte Schweißproduktion im Rückenbereich anregen. Kombiniert mit 120 db Schnarchen des Nebenmannes (rechts) und ununterbrochenem 135 db Geschrei von Kleinkind (links hinter mir) wird die Tour schwer erholsam – drei Biere vor dem Schlafengehen und Musik im Ohr wirken da Wunder…

Anders dagegen, wenn man (wie auf der Rückfahrt) ein Liege hat. Die ist immer noch spottbillig, dafür nicht eben weich. Aber es gibt Matratzen-Auflage zum selbständigen Ausrollen. Sieht aus wie der bekannte Liegewagen – allerdings nur zweistöckig und ohne jegliche Türe. Dazu gibt es Liegen in Fahrtrichtung auf der anderen Wagonseite, Durchgang dann in der Mitte – bildlich vorstellbar? Ich hoffe doch!

Kaum hatte ich gestern mein Nachtlager erreicht (Liege 29), wollte Ivan der Ältere (Baujahr ´29) mich auch schon wieder verscheuchen. Meinte, das sei seine Koje. Aber: Diagnose Altersstarrsinn und Senilität, er hatte nämlich das 2. Stockwerk gebucht, wie ich dank Ticket nachweisen konnte. Die graue Eminenz saß trotzdem erstmal gemütlich schlanke 30 Minuten neben mir auf der Pritsche. Konversation schwierig bis unmöglich. Immerhin kann ich bei ihm abgucken, wo man Laken und Decke herbekommt, ist nämlich in Plastiksack eingeschweißt. Böses Erwachen allerdings bei (erneuter!) Ticket-Kontrolle: Laken war bei mir nicht im Preis mit drin, 72 Extra-Rubel rollen zur viereckigen Kontrolleuse hinüber.

Nacht-Verlauf ansonsten friedlich, obwohl Ausmaß der Liege nur 50x180. Entsprechend problematisch, meine überschüssigen Gliedmaßen zu verstauen. Entscheide mich für lockeres In-den-Gang-Hängen der Füße und werde nur gelegentlich durch Kollision wach – nichts im Vergleich zu Katze Jaqueline, bei der ich heute wieder für eine Nacht bin…

Wenn’s gut läuft (und regnet), gibt’s nachher noch Info aus St. Petersburg...

Mittwoch, 12. August 2009

Tierliebe hat Grenzen...

..., sage ich als bekennender Dackel-Fan! Bin seit Sonntag bei Marina, meiner neuen Couchsurferin untergekommen und muss Kritik üben: Marina, 21, Rastas, Anarcho-Anti mit „alles ist doof“ Tendenzen, auch wenn gar nicht alles doof ist, wohnt noch bei Mama, was die Top-Lage der Wohnung im Zentrum erklärt (ehemalig „Volkseigentum“), rettet gerne herrenlose Tiere und bringt sie ins Tierheim.
So weit so gut. Problem aber: Hund „Basa“ (sehr freundlich, aber total verrückt) und Katze „Jaqueline“ (sehr freundlich, aber total verrückt), die beide wiederum aus dem Tierheim kommen, schlafen mit im Zimmer… Der geübte Leser ahnt bereits: Während Basa (auch weiblich) bei Dunkelheit nur ab und an kuscheln will, brach bei Jaqueline schon in der ersten Nacht der Jagdinstinkt durch. Jegliche subdeckane Fußbewegung meinerseits (und ich kann mich im Schlaf relativ oft bewegen…) wurde vom umtriebigen Sohlengänger ins Maus-, bzw. Opferschema eingeordnet und mit umgehender Attacke quittiert.
Dank dickem Fell (bei mir) und Decke zwar komplett schmerzfrei (die Katze auch…), aber doch intensiv genug um mich jedes Mal wach zu bekommen. Gegen 4.30h das Katzentier dann endlich mit herrischer Gestik verscheucht und mich sicher gewähnt. Felis lybica f. catus aber nicht blöd, wartet 20 Minuten bis Borgmann unsanft entschlummert, nur um erneut zuzuschlagen und später auf meinen unteren Extremitäten liegend mit mir das Tageslicht zu begrüßen.
Merke: Russische Katzen sind gerissen, verschlagen und bösartig! Entsprechend gerädert am Montag erwacht und bei Marina erfolgreich Verlegung des Mäusefängers für kommende Nacht eingeklagt. Werde seitdem vom Vierbeiner tendenziell geschnitten, was mir entgegenkommt, könnte ruhig noch mehr sein!
Whatever, heute war sowieso letzte Nacht in Casa de Marina, nachher geht’s in den Zug gen Petersburg. Abfahrt 1.30h, Ankunft dort gegen 10h. Distanz vergleichbar HH – München, Spätbucher-Preis für Sitzplatz mit 550 Rubel (12 Euro) so hoch, dass Moskau-Tim Bundesbahn-Vergleiche heranzieht (findet „fucking Deutsche Bahn“ seit letztem GER-Besuch latent überteuert…), um seiner Wucher-Entrüstung Ausdruck zu verleihen. Für Rückfahrt zahle ich das Doppelte, habe dafür ne Großraum-Liege. In beiden Fällen soll man schnell Leute kennen lernen, sagt Tim. Dritte (und mit rund 40 Euro teuerste) Möglichkeit wäre das klassische Schlafwagen-Abteil („Coupet“, vier Betten) – nur mal so zum Vergleich. In St. Pete übrigens Regen angekündigt, so was hatte ich noch gar nicht.

Zuvor gestern aber noch zweistündigen deutsch-russischen Journalisten-Gipfel mit Natalie abgehalten (nicht zu verwechseln mit german russian beer summit mit Tim!), die bis vor einem Monat bei Nowaja Gaseta gearbeitet hat – dem regierungskritischen Blatt, für das auch die 2006 ermordetet Anna Politkowskaja geschrieben hat.
Beängstigend: Dort wird im Moment wegen Anzeigenrückgangs die Kohle knapp. Gehälter können nicht mehr bezahlt werden, so dass Natalie jetzt für ein unabhängiges Blatt schreibt. Ihr Herz hängt aber immer noch an Nowaja Gaseta, bei denen Medwedew übrigens und für alle überraschend sein erstes Interview als Präsident gegeben hat – Wandel oder PR-Masche? Man weiß es nicht. Wir sprechen (zum Teil von ihrer und Marinas Freundin Raga übersetzt, weil Natalies Englisch reichlich dünn) über offizielle (hat der Russe auch) und tatsächliche Pressefreiheit (hat er eher nicht), das Russland-Bild der Deutschen, den Kaukasus-Krieg, Gas-Streit, nicht genehmigte regelmäßige Mini-Demonstrationen von Moskauer Arbeitslosen, die stets mit Festnahmen enden, usw.
Der Kontakt steht in jedem Fall, ebenso zum örtlichen dpa-Büro und zur Adenauer- und Böll-Stiftung (klassisch Hamburgisch schwarz-grün angesteuert), wo ich mein bisheriges Moskau- (und zum Teil Russland-)Bild nach einer Woche überprüfen und weiterentwickeln konnte.
Reicht jetzt auch, neue Stadt kommt zum richtigen Zeitpunkt!

Sonntag, 9. August 2009

„We have russian tradition“…

…, sagt Tim und meint kleine Besonderheiten, die der russische Alltag bereithält. Ich brauche eine Fotokopie meines Passes. Warum? „We have russian tradition“, dass bei grundlosen Polizeikontrollen die Gefahr besteht, dass der Schutzmann (ganz schön viele hier auf Streife, mir gegenüber bislang ausgesprochen friedlich) die große Mütze aufhält, nämlich das original Reisedokument in seine Tasche wandern und dort so lange verharren lässt, bis ein seinem Gusto entsprechendes Lösegeld den Besitzer gewechselt hat. Also Fotokopie zeigen.

Tims Nummer habe ich von Couchsurfing. Ich treffe ihn am Donnerstagabend am Kickertisch in der südlichen Innenstadt im Keller eines Internetcafes und sogleich steht die Ehre deutscher Tischfußball-Historie auf dem Spiel. Moskau-Style spielt man eins gegen eins, das liegt mir nicht. Ich gehe gegen seinen stilleren Freund „Comrade“ Alexey 7:10 unglücklich baden (hier geht’s immer bis 10), kann Tim aber deutlich distanzieren. Das gibt Props vom Russen und anschließend eine Tour durch mir noch unbekannte Teile von Moskau Zentrum.

Ich lerne das ehemalige Verbrecher-Ghetto Hitrowka kennen, in dem vor rund 100 Jahren tausende Groß- und Kleinkriminelle untergebracht waren. Und zwei Polizisten. Meine Theorie, die Letztgenannten hätten sich wohl häufiger krank gemeldet, trifft den Kern nicht ganz: Sie waren die uneingeschränkten Könige von Hitrovka und weit vorne an der Schmiergeld-Front. „We have russian tradition…“ Heute stehen Audi und Porsche Cayenne vor den schäbigen Türen. Jede Bude im innersten der fünf Moskauer Ringe ist teuer wie in London oder Paris.

Nach konsequenzlosen beers in public gibt es Lamm-Hack in Teigtasche im „very traditional russian“ Imbiss. Wir gabeln Constantin auf – er quatscht uns am Tresen voll, Tim winkt ihn an unseren Stehtisch. Sein Englisch erinnert arg an Texas, sein Blick eher an Kokain. Er komplettiert unser Quartett und folgt in den Supermarkt neben dem KGB-Hauptgebäude, wo Tim und ich den „First German Russian Beer Summit“ ausrufen. Er kauft in Russland gebrautes Öttinger (16 Rubel), ich das billigste russische Bier, das wir finden (23 Rubel). Als wir es vor der nahe gelegenen Metrostation trinken lässt sich Tim nur schwer überzeugen, dass Öttinger – wie das Etikett verkündet – den größten Absatz in ganz Germany hat.

Es ist ein Uhr. Weil ich meinen letzten Bus zu Georgy nicht mehr bekommen würde, fahre ich mir zu Tim, kann bei ihm schlafen. Vorher trinken wir Vodka. Bis vier Uhr. Tim erzählt vom System Russland und Moskau, von der Politikverdrossenheit seiner Generation und sagt, dass Sozialismus und Anarchie bei näherer Betrachtung nicht die schlechteste Form von Staatssystem seien. Er ist 25, Werkstoff-Ingenieur und entwickelt zusammen mit Kollegen neue Web-Konzepte. Er kann mit Geld und Zahlen umgehen, er kann Leute von seinen Ideen begeistern. Und er hofft, dass das Land eines Tages ohne Korruption leben kann. Als er einen guten Job hatte, rund 3000 Euro im Monat verdiente, haben seine Eltern ihn gefragt, wie viel er denn nebenher noch beiseite schaffen könne. Zuerst hat er die Frage gar nicht verstanden, dann dreimal nachgefragt. Korruption und Untreue gehören zu Russland wie der Vodka.

Auch im Krankheitsfall: Wer der Rettungswagen-Besatzung nicht das entsprechende Kleingeld in den Kittel steckt, der landet im nächstgelegenen Krankenhaus – und es gibt verdammt viele, in denen will man ganz sicher nicht landen. Schon für ein paar Rubel steigen die Heilungschancen erheblich. Beim Frühstück lerne ich auch das eigentümliche russische Heizsystem kennen. Die Heizungen werden zentral gesteuert – Eigenregelung unmöglich. Ende November springen sie an, im Mai gehen sie aus. Dass es schon im Oktober friert und Anfang April 20 Grad warm sein kann, wird geflissentlich ignoriert. „Russian tradition“ halt.

Mittwoch, 5. August 2009

Moscow University

McD-Zwischenstop vor Heimfahrt und Kulinarik mit Georgy & Co und nach spannendem Tag:

1. Wenig aufschlussreicher Besuch am Luzhniki Stadion (CL-Finale ManU vs. Ballack), weil dicht verschlossene Tore. Borgmann mogelt sich zumindest in den (leeren) Einfahrtsbereich der Mannschaftsbuss und schießt Innenraumbilder durch Spalt in 30cm dicken Stahltüren. Olympic Tennis Court zwar nicht abgeschlossen, aber der Wachmann ohne die große Mütze (dafür Badekappe, fleischfarben) verhindert Eintritt qua Präsenz und Russisch für Fortgeschrittene...

2. Vis a vis (Fluß dazwischen) liegen Skisprungschanze, Langlaufloipe, Abfahrtspiste (200m lang), Naherholungsgebiet - und Moscow State University. Gebäude latent überdimensioniert, geschätzte 30 Stockwerke, 6 Türme, Modell "Kleinstadt". Gibt 7 von den Klötzen in Moskau, alle aus den 50ern und von Deutschen erbaut - was in der Kombination Rückschlüsse auf den Faktor Freiwiligkeit der Bauschaffenden zulässt.
Sagt zumindest Anteneh, den ich im weitläufigen Uni-Park (Schlossgarten trifft es eher, Foto von Bau und Grünanlage gibts morgen) treffe, weil Zugang zum Uni-Palast nur für eingeschriebene Studenten (und Lehrkörper). Detials: 42 Jahre, Äthiopier, seit 15 Jahren in Moskau, studierter Mediziner, autodidaktierter Politologe, überzeugter Ideensammler und Geschäftsmann "I like risk".
Es entwicklet sich ein kurzer Plausch (ca. 3,5 Stunden) mit kurzer Einschätzung der aktuellen politischen Lage Russlands (Sotchi, Abchasien, Öl, EU, Putin, ausländische Kapitalzuflüsse), der Bedeutung Deutschlands für Äthiopien (grundsätzlich hoch), dem deutchen Steuersystem und schließlich einer Sammlung von Investitionsideen für Moskau - "Modern City". Wer hat akut Geldgeber an der Hand? Habe mit meinem neuen Geschäftspartner gute Ideen für Tourismus und städtische Dienstleistungen in Russlands Kapitale...

3. Lachnummer: Gerade eben mit weltmännischer Gelassenheit Teil II der Registrierung abgeschlossen. Bin 400 R (10 E) ärmer, dafür offiziell (und semi-legal) registriert - 1A Tauschgeschäft - für den Russen auf jeden Fall.

Jetzt Heimfahrt nach Dings (Metro: Medvedkovo, Nord-Nordost, dann noch 15 Min Bus) und Kochkunst vorführen (ich heute). Entscheidung pro vernünftige Nudelsoße gefallen, Kollege Georgy machts nämlich gerne Dörger Style: Nudeln mit Ketchup - dem muss Einhalt geboten werden, was in Barmbek klappt kann ja in Moskau nicht so schwer sein!

Dienstag, 4. August 2009

Moskau...

Live von McDonalds am Prospect Mira - die haben nämlich freies WLAN hier...
Ankunft gestern in Moskau, Odyssee durchs Metronetz, weil telefonische Unzulänglichkeiten zwischen Reisefuchs Borgmann (von Süden) und Gastgeber Georgy im Norden (feiner Kerl: Schnitzel, Bier, Die Ärzte - Heimweh da schwierig) zwecks Treffpunkt-Station. Dabei bestätigt sich: Der Russe klotzt viel und gerne beim Bau von Metrostationen: Marmor ist das Stichwort und zwar nich zu knapp. Dazu Rolltreppen von mehreren Kilometern Länge, dafür akuter Mangel an Streckennetz-Plänen (nur in der Bahn, da geht aber die Tür verhältnismäßig schnell zu...).

Heute wichtige Punkte: Registrierung (Touripflicht, sonst kommt der Schutzmann mit der breiten Mütze) und russische SIM-Karte. Beides war machbar, allerdings fehlte der Registrierungsbude doch etwas der erhoffte post-sozialisitische Charme. Hatte - nach Sichtung der Metro - auf Marmorsäulen mit Denkmal davor in Kutschenform samt Feldherr gesetzt... und wurde bitter enttäuscht!
Auffinden von Reg-Büro schon hochkompliziert, liegt nämlich in Kellergeschoss von 7-stöckigem Wohnhaus (Platten-Charme) und ist durch Eisentür gesichert (recht niedrig, Kopf litt bei Exit...). Englisch auch wenig en vogue, obwohl ja klassisch eher Touri-Anlaufstelle. Macht nix, Hände & Füße helfen auch, morgen muss ich wieder hin, dann gibbet den Lappen in die Hand.

Big Mac (68 Rubel = ca. 1,50) kann viel, gleich gehts in die City, nachher mit Georgy und seiner Bande an irgendeinen See zum Bier trinken. Ist - laut G. - semi-legal, weil beer in puplic ungern gesehen wird, deswegen am See, weil der Schutzmann dort nur selten kreuzt. Man ist gespannt und ist schon voller Eindrücke alleine von der Zugfahrt von Flughafen (Domodeodovo oder so) gen Stadt: Überqueren der Gleiskörper hier offenbar kein klassisches no-go, sonder verkappter Volkssport.

Weitere Berichterstattung folgt, wenn mich der Wachmann nicht beim Bier trinken erwischt. Aber da sei Georgy vor!