Dienstag, 18. August 2009

Zugfahren auf russisch...

...ist an für sich keine blöde Sache. Hauptunterschied zum ehemaligen Mehdorn-Express (abgesehen vom Preis, über den habe ich ja schon berichtet): das Personal. Während in unseren Gefilden alle drei Jahre mal ein Schaffner vorbeschneit, um den ordnungsgemäßen Zustand der Fahrkarten zu prüfen, passiert das hier schon beim Einstieg.

Im Klartext: An jedem Wagon (es wird natürlich, russian tradition, nur eine der beiden Türen geöffnet) steht eine Zugbegleiterin und kontrolliert Ticket und Pass – wenn dann richtig! Die Zug-Empfangsdamen sehen nicht nur wegen der Uniform durch die Bank gleich aus, alle etwas viereckig (Schulterpolster schwer in Mode…) Drinnen laufen sie dann munter auf und ab, gerne in Dreierformation, selten alleine und schreien (für mich) unverständliche Sachen. Meine Nachfrage, ob das wichtig sei, was dort gebrüllt (klang ziemlich energisch) wird von links nur mit lächelndem Kopfschütteln quittiert. Inhalt bleibt mir verschlossen.

Was übrigens schon früher auf der Zugfahrt vom Flughafen nach Moscow-City mein Augenlicht entzückte, ist die Wolga-Variante des Mitropa-Wagens: Da ich mich im „Aero-Express“ befand, einem „ziemlich modernen“ Zug mit entsprechender Preisklasse, wurde ich Zeuge dieser post-sozialistischen Schöpfung. Nachdem die (dort einzige!) Zugbegleiterin die Tickets (während der Fahrt!) kontrolliert hatte, kam sie mit einem original Supermarkt-Einkaufswagen voller Süßigkeiten, Getränke, Zeitungen und gebrauchter Bücher (!) wieder durch unsere Reihen spaziert. Auffällig dabei: Es fehlte (wie hier überall) die Ein-Euro-Wegfahrsperre. Mit Pfand-System hat man es hier ohnehin nicht besonders.

Aber zurück zum Großraum-Wagon von vorher, der an ältere DB-Tage erinnert. Vollbesetzt zeichnet er sich durch Vollkunststoff-Sitze aus, die erhöhte Schweißproduktion im Rückenbereich anregen. Kombiniert mit 120 db Schnarchen des Nebenmannes (rechts) und ununterbrochenem 135 db Geschrei von Kleinkind (links hinter mir) wird die Tour schwer erholsam – drei Biere vor dem Schlafengehen und Musik im Ohr wirken da Wunder…

Anders dagegen, wenn man (wie auf der Rückfahrt) ein Liege hat. Die ist immer noch spottbillig, dafür nicht eben weich. Aber es gibt Matratzen-Auflage zum selbständigen Ausrollen. Sieht aus wie der bekannte Liegewagen – allerdings nur zweistöckig und ohne jegliche Türe. Dazu gibt es Liegen in Fahrtrichtung auf der anderen Wagonseite, Durchgang dann in der Mitte – bildlich vorstellbar? Ich hoffe doch!

Kaum hatte ich gestern mein Nachtlager erreicht (Liege 29), wollte Ivan der Ältere (Baujahr ´29) mich auch schon wieder verscheuchen. Meinte, das sei seine Koje. Aber: Diagnose Altersstarrsinn und Senilität, er hatte nämlich das 2. Stockwerk gebucht, wie ich dank Ticket nachweisen konnte. Die graue Eminenz saß trotzdem erstmal gemütlich schlanke 30 Minuten neben mir auf der Pritsche. Konversation schwierig bis unmöglich. Immerhin kann ich bei ihm abgucken, wo man Laken und Decke herbekommt, ist nämlich in Plastiksack eingeschweißt. Böses Erwachen allerdings bei (erneuter!) Ticket-Kontrolle: Laken war bei mir nicht im Preis mit drin, 72 Extra-Rubel rollen zur viereckigen Kontrolleuse hinüber.

Nacht-Verlauf ansonsten friedlich, obwohl Ausmaß der Liege nur 50x180. Entsprechend problematisch, meine überschüssigen Gliedmaßen zu verstauen. Entscheide mich für lockeres In-den-Gang-Hängen der Füße und werde nur gelegentlich durch Kollision wach – nichts im Vergleich zu Katze Jaqueline, bei der ich heute wieder für eine Nacht bin…

Wenn’s gut läuft (und regnet), gibt’s nachher noch Info aus St. Petersburg...

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