Freitag, 18. September 2009

Zwischen Kamel und Strassenkickern

Gibt es standardisierte Spitznamen für Kamele? Vergleichbar mit Fury oder Bello? Mir faellt in Old Kairo keiner ein und wenn auch sonst niemand (Hani?) einen kennt und mir diesen umgehend mitteilt, dann heisst mein Wüstenschiff in Ermangelung eines solchen ab jetzt schlicht Erwin. Auf dessen Rücken (Hoecker?) reite ich an meinem ersten Tag in Kairo gemütlich schaukelnd wundersamer Weltgeschichte entgegen. Komplettiert wird unsere schlagfertige Reisegruppe von einem per definitionem geldgierigen Guide (auf Fury) und einem kleinen Buben, der Erwin an der kurzen Leine haelt und zu meinen Füssen durch den breehheennendheissen Wüüüüstensand stapft.Neben dem Sand scheint Junior vor allem die Sonne zu Kopfe zu steigen, schliesslich macht er beim Fototermin Faxen ohne Ende und ruiniert so die kunstvoll entwickelte Komposition aus Erwin, Pyramiden und mir. Logische Folge: Der geldgierige Vorgesetzte schickt den kleinen badebelatschten Mops bei der naechsten Knipspause in die Wüste (hihi), um Erwin und mich alleine vor historischer Kulisse wirken zu lassen. Das klappt zunaechst auch sehr manierlich – Erwin und ich harmonieren wie Netzer und Delling beim Laenderspiel. Routine und Gelassenheit spricht aus unseren Gesichtern. Doch Erwins Laecheln ist nur Fassade! Beim fünften Shooting bricht der Unpaarhufer aus, wittert den Geruch von Sandsturm und Freiheit mit den von Fliegen besetzten Nüstern (heisst das so?) und beschleunigt umgehend. Bei Fahrgast Borgmann macht sich schnell die Erfahrung aus 13 Jahren semiprofessionellem Springreiten – eher das Fehlen dieser – bemerkbar, der sucht neben sich naemlich vergeblich nach Handbremse und Steuerrad. Erwin (knapp ein PS, viel Hubraum, schlecht frisiert) naehert sich mittlerweile stark schaukelnd (klar, ist sich Wüstenschiff…) seiner gelaendetypischen Hoechstgeschwindigkeit von 12 bis 14 Knoten waehrend ich an Bord versuche, mich auf zentrale Aspekte des Krisenmanagements zu konzentrieren. Da waere 1. „Ruhe bewahren“ – ok, haben wir. 2. „Situation analysieren“ – haben wir auch, schwankt zwischen bedenklich und bedrohlich (quasi Seenot). 3. Gegenmassnahmen prüfen – da war das mit der Handbremse, vielleicht gibbet noch mehr!? Eine eingehende Prüfung aller Optionen (Schleudersitz, Beiboot, Fallschirm, Schwimmweste, Bolzenschussgeraet, seilaehnliche Steuervorrichtung) laesst meine Wahl für 4. (Gegenmassnahmen durchführen) auf letztere Option fallen. Ein beherzter Griff zur Leine und ich bedeute Erwin durch kontrolliertes aber bestimmtes Ziehen an selbiger Lenkvorrichtung, dass hier und heute weder Ort noch Zeit zum Aufbruch in ein neues Leben seien. Hauptsaechlich, weil sonst der geldgierige Guide meine noch in seinem Besitz befindliche Kamera verhoekern würde. Fotos von meinem Ueberlebenskampf hat er natürlich nicht gemacht – das gibt spaeter Abzüge beim Trinkgeld, was er (klar!) mit Gequengel quittiert. In jedem Fall zeigen die Gegenmassnahmen Wirkung: Unterstützt durch ein sanftes aber eindringliches „hooo!“ sowie den hektisch aber wenig effektiv hinter uns her stolpernden Mops und den Geldgierigen, der gerade seinen Gaul besteigt, um die Verfolgung aufzunehmen (oder mit meiner Kamera zu türmen), laesst mein behoeckertes Transportmittel sich zum Stillstand bringen. Und erhoeht damit womِglich die Chance, dass wir uns in diesem Leben ein zweites Mal begegnen – ich als bestürzter Geschaeftsbesucher, Erwin als Mantel... Doch da sei sein Freiheitsdrang vor.Für den naechsten (dann vielleicht mal unbemannten, weil mehr Erfolg versprechenden) Ausbruchsversuch wünsche ich dir auf diesem Weg alles Gute!


Dann wird es Nacht in Old Kairo – was im Ramadan bedeutet, dass ganz schwer die Hütte brennt, weil nun gefuttert, getrunken (noch keinen Alkohol hier gesehen) und geraucht werden kann. Nur eine Kamelleine vom Nil entfernt erreicht die Nacht schliesslich mit einer Partie Strassenfussball im Laternenschein ihren Hoehepunkt. Old Kairo, also dort, wo mein Couchsurfer Mohamed wohnt, ist jetzt nicht diiieee erste Adresse in der Stadt, sondern versprüht unverblümten Entwicklungsland-Charme. Entsprechend ungeeignet sind die „Strassen“ zum Praktizieren technisch anspruchsvoller Ballsportarten. Auf der anderen Nil-Seite (Insel) wohnt es sich aber deutlich gehobener (Botschaftsvolk etc.) und die Strassen verfügen über standesgemaesse Ausmasse – ideal für einen Kick 4 gegen 4, bei dem sich der knietechnisch wieder genesene Borgmann als Ballverteiler im Mittelfeld (Mittelstreifen) versucht. Auf engem Raum greifen zwar die Defensiv-Qualitaeten, allerdings reicht’s mit dem Ballzauber noch nicht so, weswegen beim Stand von 3:3 (bis 5, zwei Tore Vorsprung, es geht um 1 Pfund = 12 Cent Einsatz pro Nase!) ins Tor gewechselt wird.Zwar kommt der Untergrund (Beton, wen wundert’s) meinem Bewegungsablauf nur maessig entgegen, doch um 2:35 Uhr jubelt Team Borgmann nach mehr als 90 Minuten Nervenkrieg über das 7:5 und die Entscheidung. Interessant dabei die Vielfaeltigkeit der Fussbekleidung: Von Chucks (moi) über glaenzende Nike-Treter, Badelatschen (bester Spieler auf dem Acker!) und mit ohne Schuhwerk ist alles dabei. Anschlieكend geht es bis 4:20 Uhr weiter durch Old Kairo, dann gibt’s die letzte Mahlzeit vor dem Fasten und endlich Schlaf so gegen 5 Uhr. Mein Biorhythmus ist nach einem Tag Kairo schon komplett im Eimer...

Beirut in Kürze

Granaten an der israelischen Grenze (kein Thema in deutschen Nachrichten), Bier zu deutschen und Futter zu Spottpreisen, Handygebühren (astronomisch) als grِكte Quelle für Staatseinnahmen, Baustellen an jeder Ecke, Hنuser, die bis zum nنchsten Krieg halten. Optimisten, Fatalisten, ehemalige UNIFIL-Sprecher, Botschaftsmitarbeiter und 18 verschiedene Glaubensrichtungen, die alle ihre eigene Partei mit Ministerposten versorgen wollen. Dazu eine Masterarbeit über EU-Wahlbeobachtung, ein Orientinstitut als groكe WG mit Liebes- und Abwasch-Geschichten sowie Nachbarstadt Tripoli mit Reisewarnung (wussten wir nicht) und ihrem unvergleichlichen Tourismus-Angebot (existiert nicht).Mordanschlنge auf Politiker, die ihre Parteien allgemein sehr gerne in Familienbesitz halten, Zwِlfjنhrige die an deren Todestag mit Flaggen und Plakaten durch die Stadt rennen, keinerlei staatliche Strukturen aber eine unglaubliche Privatwirtschaft, die das Land stützt und nach jedem Krieg wieder aufbaut. Ein Image als „Schweiz des Orients“, das ich lange suche und nur auf einer Postkarte von 1974 finde, abgesperrte „Strنnde“ (Gated Communities!), eine Lebenseinstellung, nach der alles nur für heute zنhlt – wer weiك schon ob nicht morgen alles zerbombt ist –, mehr NGOs und Thinsk-Tanks und Staatsschulden pro Kopf als sonst irgendwo und ein „Iftar“-Abendessen bei den „Democrats Abroad“. Eine florierende Stromgeneratorindustrie die (so munkelt man) die „echte“ Stromindustrie schmiert, damit die nicht so viel Leistung bringt, Taxifahrer, die bei Frauen ca. 50 Prozent Rabatt gewنhren, komplette Abwesenheit von Verkehrsregeln und ein Couchsurfer, der Jihad heiكt, im südlichen Grenzgebiet Mienen für die UNIFIL beisete rنumt und aus seinem Zimmer ausziehen will, weil ihm der Baulنrm ihm Nachbargebنude zu laut ist.Wahrscheinlich braucht man etwas mehr als eine Woche, um Beirut zu begreifen, ich bin jetzt auf jeden Fall schon wieder in Kairo...

Mittwoch, 16. September 2009

Flughafenzubringer

Zum Türkei-Abschluss gibt’s nen Lamacun mit Ali und seinen Kumpels, dann geht’s zur Karre und ab gen Airport von Gaziantep. Dort (nicht am Flughafen) haben sich meine letzten Hoffnungen in puncto syrisches Visum zerschlagen, zudem mag mich der Schalterbeamte des Konsulats jetzt ganz besonders gerne... Resultat sind diplomatische Verwerfungen zwischen Deutschland und Syrien – und ich bin gezwungen, den Flieger statt Landweg nach Beirut zu nehmen.
Doch zurück zu erfreulicheren Dingen: Schon beim Ausparken gibt es Unstimmigkeiten zwischen Fahrer und Couchsurfer Ali (Ingenieur, Dozent an der Uni) und Ibrahim (Musiker, lange Haare). Kunst schlägt Wissenschaft und wir fahren durch verschiedene Wohngebiete (hier hat übrigens jede Bude einen überdimensioniertem Wasserkocher mit Solarantrieb auf dem Dach) irgendwie Richtung Südosten (sagt mir der Sonnenstand). Soweit so gut denkt sich der ortsblinde Passagier Borgmann und vertraut ebenso blind auf die irgendwie schon vorhandene Ortskenntnis seiner Begleiter.

Nach Auskunft von Ali hätte ich den Shuttle-Service aus der Innenstadt um spätestens 18.30 Uhr nehmen sollen, aber nun seien wir ja mit dem Auto unterwegs und schnell und würden das schon hinbekommen. Leise Skepsis bahnt sich erstmals ihren Weg, als wir statt über Asphalt über eine Sandpiste holpern, was sich jedoch lediglich als semilegale Abkürzung über einer der örtlichen Baustellen entpuppt. Auch der folgende Tankstellenbesuch lässt mich kalt, schließlich wird an Zapfsäule 4 nur Sprit und nicht eine Wegbeschreibung nachgefragt.
Dennoch fällt mir eine Sache auf: Im Auto wird seit geraumer Zeit verdächtig viel Türkisch gesprochen und orientalisch gestikuliert.
Erneute Unstimmigkeiten auch beim Verlassen des Petroleum-Versorgers: Wieder setzte sich Gitarrist Ibrahim durch und forciert die (unerlaubte) Umnutzung der Auffahrt zur Ausfahrt, so dass wir – die Hauptstraße kreuzend – ein Stückchen zurück fahren. Trotzdem, die werden das schon richten, denke ich mir.
Dennoch fällt mir wiederum eine Sache auf: Die Zahl der Flugzeuge, die am dämmernden Himmel zu sehen ist, geht stark gegen null – und das ungefähr seit wir ins Auto gestiegen sind.
Als der Disput zwischen Kunst und Wissenschaft im vorderen Teil unseres Kreuzers erneut aufbricht, beginne ich, die Umgebung verstärkt nach Flughafen-Beschilderung (oder überhaupt Beschilderung) abzusuchen. Erfolgserlebnisse bleiben aus, dafür wandelt sich die Straße und nimmt fernverkehrsartige Züge an. Als ich mich erstmals nach unserer genauen Position und den Zielkoordinaten erkundigen will, atmet die komplette Besatzung gerade erleichtert auf: Groß prangt ein Flugzeug-Symbol am Straßenrand, demzufolge wir uns bei der nächsten Ausfahrt rechts halten sollen.

Minuten später fällt mir dennoch eine Sache auf: Für einen Flughafenzubringer verfügt unsere Straße mittlerweile über bemerkenswert viele Serpentinen und gleichzeitig über bemerkenswert wenige Mittelstreifen, die etwa vorhandene Fahrspuren trennen könnten.
Um ehrlich zu sein, stimmt die Anzahl der Mittelstreifen ziemlich genau mit der Anzahl der Flugzeuge am Himmel überein. Das fällt offenbar auch meinem Kabinenpersonal auf, das sich schließlich im nächsten Dorf (!) auf einen Zwischenstopp einigen kann, um mit den Inhabern des örtlichen Kebab-Imbiss über die genaue Lage des Gazianteper Flughafens zu debattieren. Vielleicht hätte ich es ahnen können, als Kollege und Rücksitznachbar Mustafa (auch Musiker) am frühen Nachmittag meine (selbst gezeichnete aber ganz manierlich gelungene) Weltkarte auf den Kopf drehte, um mich zu fragen, wo ich denn schon überall gewesen sei…
Wie auch immer, selig sind die orientierungslosen. Denn die beiden Kebab-Kollegen dagegen scheinen sich in der erweiterten Metropolregion Gaziantep und den örtlichen Berghängen bestens auszukennen, deuten vehement und unbeirrbar in zwei unterschiedliche Richtungen... Während ich im Kopf schon mal durchrechne, was mich ein weiteres Ticket gen Beirut an Geld und Nerven kostet, tut sich draußen etwas: Der Junior-Chef der Kebab-Connection schwingt sich samt kleinem Bruder auf das betriebseigene Motorrad, um uns vorauseilend den Weg zu leuchten – keine Ahnung von Geographie aber wahnsinnig hilfsbereit hier!
Wir fahren also ein paar Kilometer die schon bekannten Serpentinen und Schnellstraßen zurück, und sollen uns bei der nächsten Abfahrt wiederum rechtes halten (dieses Mal aus der anderen Richtung kommend…). In der Ferne erblicke ich helle massive Klotz-Strukturen, die mit ein wenig guten Willen als Flughafengebäude durchgehen könnten und bekomme sofort steigenden Puls. Der senkt sich allerdings wieder, als sich besagte Strukturen als Düngemittelfabrik herausstellen und die Anzahl der Flugzeuge am Himmel nach wie vor stagniert.
Im Wagen ist es mittlerweile verdächtig still geworden, gebannt blicken vier Augenpaare auf die sich wiederum verändernde Straße. Die gibt sich nach der Düngemittel-Passage wieder sandig, einspurig, serpentienisch und lässt damit erneut den Charakter eines Flughafenzubringers vermissen. Immerhin gibt es Anzeichen von Zivilisation, ein Jeep steht mit Warnblinkern schräg auf der „Gegenfahrbahn“, die Höchstgeschwindigkeit ist qua Schild auf 30 km/h begrenzt.

„Wenn der Weg falsch ist, dann verprügeln wir Ibrahim“, blickt Mustafa nüchtern voraus. Ich füge hinzu, dass ich das Spektakel dann in Bild und Ton festhalten könne, um aus dem Verkaufsgewinn das nächste Flugticket zu finanzieren. Der Vorschlag wird mit 2/3-Mehrheit der Einheimischen (und damit Stimmberechtigten) abgenickt.
Schweißperlen sammeln sich auf Ibrahims Stirn, als wir von unserem Feldweg gen Schnellstraße gelenkt werden. Die zeichnet sich zwar durch Mehrspurigkeit, Beleuchtung und -schilderung aus, allerdings fehlt auf letzterer nach wie vor jeder Hinweis auf ein Rollfeld von überregionaler Bedeutung. Stattdessen hangeln sich kleine Ortschaften als Lichterflecken an den umliegenden Hügelhängen – von einer für die Platzierung eines solchen Rollfelds unerlässlichen Hoch- oder Tiefebene ist über Kilometer nichts zu sehen.
Ibrahims Einsilbigkeit hat mittlerweile Charakterzüge eines Schweigegelübtes angenommen, als endlich, endlich, endlich ein kleines Flugzeugsymbol auf grünem Grund über der Straße prangt. Entfernungsangaben fehlen zwar, aber Ali gibt noch mal Bleifuss. Zwei Kilometer weiter wird scharf links abgebogen (Leitplanke hier unterbrochen) und ich werde direkt vor das Terminal kutschiert. Der Schutzmann bläst energisch in die Trillerpfeife, Autos hupen von allen Seiten und binnen 35 Sekunden wird mein Rucksack aus dem Kofferraum, gewuchtet, die Verabschiedungszeremonie durchgeführt, der Schutzmann besänftigt und Weltreisender Borgmann die Richtung zum korrekten Terminal bedeutet.
Die trödelnde heimische Großfamilie, die an der Osama-Schranke wartet und ihren Kinderwagen röntgen lassen will, wird (links blinken, rechts überholen) eiskalt stehen gelassen und nach vollzogner Waffen-Filzung zielsicher der (völlig leere) Turkish Airways Schalter angepeilt. Dann geht alles ganz schnell: Binnen drei Minuten stehe ich an der zweiten Sicherheitsschleuse, passiere diese acht Minuten vor Abflug – und langweile mich anschließend in der „Lobby“ von „Gate 2“ (von zwei, rechts im Bild: Gate 1), weil mein Vogel (der einzige auf dem Rollfeld, was den Mangel an Objektsichtungen im Luftraum erklärt) ungefähr eine halbe Stunde Verspätung hat...

Montag, 14. September 2009

Herr Agent, es brennt!

Die Rückbank eines deutschen Fabrikats (Stern auf der Haube), links ein Kurde, rechts ein Kurde, beide im besten Alter (um die 50) aber mit den schlechtesten Zähnen. In der Mitte Borgmann, im Schlepptau ein anderes germanisches Vehikel (vier Ringe) und draußen brennt die Nachmittagssonne mit rund 40 Grad im nicht vorhandenen Schatten. Da dreht sich das Kojak-Double am Lenkrad, kaum dass wir losgefahren sind, zu mir um und fragt, ob ich ausländischer Spion sei...
Läuft doch, meine Anhalter-Premiere im türkischen Südosten!
Nur ein paar Minuten zuvor hatte mich Ibo an der letzten Bushaltestelle von Mardin abgesetzt, mir den einzigen Fleck mit Schatten empfohlen und viel Glück für meine Tour per Anhalter ins knapp 200 km entfernte Urfa gewünscht. Beginn verläuft vielversprechend: Praktisch die erste Karre springt auf mein liebevoll gemaltes Schild (Deckel einer alten Pizza-Schachtel) an, Kojak und Co. wollen mich zumindest bis ins 25 Landstraßen-km entfernte Kiziltepe mitnehmen.
20 Minuten und 8 km später deutet sich an, dass die Geschichte länger dauern kann. Denn nach den ersten eigenen Geh(Fahr)versuchen vom Kollegen aus Ingolstadt scheint klar: Der macht keinen Mucks mehr. Folglich wird der A4 wieder an die Leine genommen und auf ein nahe gelegenes, ziemlich heruntergekommenes, ziemlich verstaubtes, ziemlich verrostetes und wenig ziemlich Vertrauen erweckendes KFZ-Reparatur-Areal geschleppt. Auf dem Weg kann ich den kurdischen Kollegen von meiner Weltreise berichten und mir anhören, dass Atheismus totaler Blödsinn sei. Im Interesse einer fortschreitenden Beförderung lasse ich von Diskussionen ab und schrecke erst auf, als kurz nach Auffahrt auf das Werkstatt-Gelände das Abschleppseil reißt.

Hektik allenthalben wird gefolgt von kollektivem Autoschieben, schließlich muss der Audi in die nächste Garage bugsiert werden. Nach anschließenden Verhandlungen mit der Vertragswerkstatt steigen Borgmann, Kojak, die beiden Kurden und Genosse Beifahrer wieder in den Benz. Mein großer Rucksack wandert in den Kofferraum, denn Europa und die Türkei rücken näher zusammen: Zu uns drei gesellt sich der vollkommen ölverschmierte Audi-Fahrer in Ermangelung eines fahrbaren Untersatzes auf die Rückbank.
Blöd dabei: Im Fahrzeuginneren wird mit einmal nur noch Türkisch gesprochen und einer meiner Sitznachbarn erläutert dem bulligen Neuankömmling meine Reiseroute (Hindistan, Cin, soweit reichen meine Fremdsprachenkenntnisse mittlerweile). Mit gespannter Neugier warte ich auf des Mechanikers Reaktion, aber der lacht mich nur dreckig aus und sabbelt in Landessprache weiter. Unbehagen macht sich breit...
Ist ja nur Kiziltepe, mache ich mir Hoffnung, dass die Tour bald vorbei ist. Schließlich kommen nach insgesamt knapp einer Stunde die T-Kreuzung und die Landstraße nach Urfa in Sicht. Raus hier, gerne zügig! Aber was macht Kojak? Brettert über die Kreuzung, fährt ein paar Meter auf der Gegenfahrbahn, biegt dann links auf einen kleinen Sandweg ein – weg von der Hauptstraße! „You can drop me here“, schlage ich ansatzweise panisch vor. „No, no, we take you further“, entgegnet Kojak. SCHEIßE!!!

“No really, please drop me here!” Ich werde lauter und mir geht richtig die Muffe, zumal der Ölverschmierte wieder anfängt zu lachen. „Really?“ „Yes, please!! Stop here!“, rufe ich.
Der Benz bremst abrupt und mein Puls geht zurück auf 145. Wir wollten dich doch nur zur Bushaltestelle bringen, sagt Kojak. Ich danke und will nur noch meinen Rucksack wiederhaben, dann schnell zurück zur Hauptstraße und weg von der Bande hier. Sei vorsichtig, nicht alle sind hier so nett wie wir, ruft Kojak mir noch hinterher. Mit mir steigen die beiden Kurden vom Anfang aus und trotten zur Hauptstraße. Auch auf die zwei Nasen habe ich gerade nicht so viel Lust. Der eine fragt mich noch nach meiner Meinung zu Özalan, dann bin ich endlich alleine und atmete tief durch.
Und jetzt noch 170 km bis Urfa? Das kann ja heiter werden... Aber zehn Minuten später haben sich Lage und Borgmann beruhigt. Der sitzt in einem klimatisierten Rüsselsheimer Fabrikat alleine auf der Rückbank, Fahrer und Co-Pilot sprechen kein Englisch, zeigen sich dennoch schwer beeindruckt von meiner Worldtour, geben mir ihre Visitenkarte und lassen mich die folgenden eineinhalb Stunden in Ruhe, bis sie mich ungefähr 5 Fuß-Minuten von meinem Hostel entfernt absetzen. Das war ja nun fast wieder langweilig. Ist aber auch schwer, es mir recht zu machen…

Mittwoch, 9. September 2009

Anatolien bei Nacht

Dengelengelengelengelengel-engelengelengelengel – Batman! Wenn sich in Gotham City sogar Streifenpolizisten langweilen, dann geht der Ritter von der Schallpeilung seiner Zweitbeschäftigung nach. Seit Jahren leitet die geschäftstüchtigste Fledermaus des Planeten ein florierendes Busunternehmen mit Sitz in der südöstlichen Türkei (Eingeweihte denken jetzt vielleicht an Döner...). Dabei legt Bruce Wayne natürlich auch hier größten Wert auf Technik, Breitbandinternet im Bus ist selbstverständlich – allerdings nicht bei all seinen Kollegen von der Landstraße.
Typisch allerdings für den nachtaktiven Flattermann: Ein Großteil seiner Flotte kreuzt nach Sonnenuntergang durch die Weiten Anatoliens. Nach ungeahnt langem Aufenthalt in Ankara, ersten diplomatischen Verwerfungen zwischen Bundesrepublik und den syrischen Kollegen wegen der Nicht-Gewährung eines Visums für einen namentlich nicht genannten deutschen Staatsangehörigen im besten Weltreise-Alter (trotz Ausstellung einer Grenzempfehlung für selbigen) und damit verbundenem Zeitverlust greife auch ich zum Nachtbus, um auf dem Weg gen Osten Boden gutzumachen.

Von der Hauptstadt geht es nach Göreme, Malatya, Mardin, (Sanli)Urfa und dann volley an des Syrers Grenze, um dort qua Devisenhandel den Transit zu forcieren – andernfalls nach (Gazi)Antep, dort betreibt der renitente Nachbar ein weiteres Konsulat, mit dem womöglich einfacher zu reden ist...

Zunächst aber mal Kultur: In Kappadokien (Göreme) lauert mehr Menschheitsgeschichte als Steckbriefe in Gotham, dazu hat Mutter Natur durch Erbeben in Tateinheit mit Vulkanausbruch und fluvialer Erosion (Geograph, har har) manch Ungewöhnliches geschaffen. Kollege Sapiens tat sein Übriges, baute Behausungen und Kirchen aus wildesten Felsformationen, ganze Städte in den Untergrund und sorgt für offenen Mund beim Betrachter. Der setzt sich zu 75% aus Australien zusammen (8 von 12 auf unserer Tour), was einschlägige Vorurteile darüber bestätigt, wen man in den Hostels dieser Welt so treffen kann...
Dabei nicht ganz einfach: minütlich von türkischem Akzent auf australischen Dialekt zu wechseln! Sonst aber (natürlich) ein sehr unterhaltsames Völkchen.

In Malatya dann aber wieder vermehrt Locals. Couchsurfer Ahmet spielt Trommel in der Militärkapelle, berichtet über die Streitkräfte und hält zu meiner Verwunderung nicht viel von Ramad(z)an. Dabei hatte ich doch fest damit gerechnet, im Zentrum Anatoliens auf strikt praktizierende Moslems zu treffen... Auch Medizinstudentin Aysen hält wenig vom Fasten (und von Malatya im Allgemeinen), erklärt aber, dass die beiden damit doch eher die Ausnahme in der konservativen Heimat der Aprikose (hier ganz heiß: Apriko-Döner…) seien. Mehr Kultur: Um die Ecke auf Berg Nemrut hat Kollege Antiochos sich sein weltgeschichtliches Denkmal durch übermäßigen Statuenbau gesetzt (persiche und griechische Kultur Hand in Hand, ein deutscher Ingenieur hats entdeckt!), dorthin ziehts auch Australien-Tom aus Göreme. Mich dagegen zu Kontakt- und Kultur-Austausch mit Aysen und Ahmet.
Letzterer vermittelt mich auf dem kurzen Dienstweg an seinen Bruder Emrah in Mardin, meinem nächsten Anlaufpunkt. Die dritte Nachtbustour binnen fünf Tagen endet erneut in unchristlicher (in Anatolien besonders witzig) Ankunftszeit (3.30 Uhr nach 5.30 Uhr in Göreme und 4.30 Uhr in Malatya). Der geübte Nachtbuspassagier hat aber mittlerweile eigene Rituale entwickelt, schläft ebenso problemlos an zentralen Omnibushaltestellen wie auf Kinderspielplätzen. Dennoch wird folgenschwerer Entschluss gefasst: Die nächste Tour wird kostenneutral mit Pappschild („URFA“) in der Pfote betrieben – und ausnahmsweise mal bei Tag, denn der Zeit scheint genug aufgeholt!

Zuvor in Mardin aber erneut Kultur im Schnelldurchlauf. Uralte Stadt am südlichen Berghang (nördliche Seite neu und wenig hilfreich) mit großer Burg, von der aus heute des Türken Kampfjets koordiniert werden – klassisches Nachnutzungskonzept! Die Straßen sind so alt, eng und klein, dass die wichtigsten Mitarbeiter der örtlichen Müllabfuhr auf den Namen „Esel“ hören und mit mir hinunterblicken können über das weite Mesopotamien. Dank Emrah lerne ich Handwerks-Virtuose Hazan kennen, Großmeister auf dem Gebiet handgefertigter arabischer Heiligenbilder der Mythenfigur Shahmaran und Kunstwerken aller Art. Emrah sagt, er sei in der ganzen Türkei wirklich berühmt. Und an irgendjemanden erinnert er mich, weiß aber nicht an wen...
Gerade war er in Chicago zum großen türkischen Kulturfest eingeladen, zeigt stolz Fotos und Visa, versorgt mich trotz Ramazan mit Tee und reiht sich nahtlos ein in die Riege der unbeschreiblich gastfreundlichen und hilfsbereiten Türken, die ich an jeder Ecke treffe – da können wir uns aber mehr als eine Ecke von abschneiden!

Zwar muss Lehrer Emrah am (Samstag)Nachmittag eine Klausur beaufsichtigen, aber Mitbewohner Ibo (Ibrahim) und seine Freundin kümmern sich phantastisch um mich. Bieten an, ich könne auch in ihrer Wohnung übernachten statt als Ritter vom Pappschild meinen Weg nach Urfa zu suchen. Soo einfach sei das nämlich nun wieder auch nicht, außerdem hats draußen um die 40 Grad und so weiter. Aber mein Schild ist fertig, und Ibo bringt mich bis zur Kreuzung, wo die Straße nach Kiziltepe und Urfa führt. Dann mal los...