Freitag, 18. September 2009
Zwischen Kamel und Strassenkickern
Beirut in Kürze
Granaten an der israelischen Grenze (kein Thema in deutschen Nachrichten), Bier zu deutschen und Futter zu Spottpreisen, Handygebühren (astronomisch) als grِكte Quelle für Staatseinnahmen, Baustellen an jeder Ecke, Hنuser, die bis zum nنchsten Krieg halten. Optimisten, Fatalisten, ehemalige UNIFIL-Sprecher, Botschaftsmitarbeiter und 18 verschiedene Glaubensrichtungen, die alle ihre eigene Partei mit Ministerposten versorgen wollen. Dazu eine Masterarbeit über EU-Wahlbeobachtung, ein Orientinstitut als groكe WG mit Liebes- und Abwasch-Geschichten sowie Nachbarstadt Tripoli mit Reisewarnung (wussten wir nicht) und ihrem unvergleichlichen Tourismus-Angebot (existiert nicht).Mordanschlنge auf Politiker, die ihre Parteien allgemein sehr gerne in Familienbesitz halten, Zwِlfjنhrige die an deren Todestag mit Flaggen und Plakaten durch die Stadt rennen, keinerlei staatliche Strukturen aber eine unglaubliche Privatwirtschaft, die das Land stützt und nach jedem Krieg wieder aufbaut. Ein Image als „Schweiz des Orients“, das ich lange suche und nur auf einer Postkarte von 1974 finde, abgesperrte „Strنnde“ (Gated Communities!), eine Lebenseinstellung, nach der alles nur für heute zنhlt – wer weiك schon ob nicht morgen alles zerbombt ist –, mehr NGOs und Thinsk-Tanks und Staatsschulden pro Kopf als sonst irgendwo und ein „Iftar“-Abendessen bei den „Democrats Abroad“. Eine florierende Stromgeneratorindustrie die (so munkelt man) die „echte“ Stromindustrie schmiert, damit die nicht so viel Leistung bringt, Taxifahrer, die bei Frauen ca. 50 Prozent Rabatt gewنhren, komplette Abwesenheit von Verkehrsregeln und ein Couchsurfer, der Jihad heiكt, im südlichen Grenzgebiet Mienen für die UNIFIL beisete rنumt und aus seinem Zimmer ausziehen will, weil ihm der Baulنrm ihm Nachbargebنude zu laut ist.Wahrscheinlich braucht man etwas mehr als eine Woche, um Beirut zu begreifen, ich bin jetzt auf jeden Fall schon wieder in Kairo...
Mittwoch, 16. September 2009
Flughafenzubringer
Doch zurück zu erfreulicheren Dingen: Schon beim Ausparken gibt es Unstimmigkeiten zwischen Fahrer und Couchsurfer Ali (Ingenieur, Dozent an der Uni) und Ibrahim (Musiker, lange Haare). Kunst schlägt Wissenschaft und wir fahren durch verschiedene Wohngebiete (hier hat übrigens jede Bude einen überdimensioniertem Wasserkocher mit Solarantrieb auf dem Dach) irgendwie Richtung Südosten (sagt mir der Sonnenstand). Soweit so gut denkt sich der ortsblinde Passagier Borgmann und vertraut ebenso blind auf die irgendwie schon vorhandene Ortskenntnis seiner Begleiter.
Nach Auskunft von Ali hätte ich den Shuttle-Service aus der Innenstadt um spätestens 18.30 Uhr nehmen sollen, aber nun seien wir ja mit dem Auto unterwegs und schnell und würden das schon hinbekommen. Leise Skepsis bahnt sich erstmals ihren Weg, als wir statt über Asphalt über eine Sandpiste holpern, was sich jedoch lediglich als semilegale Abkürzung über einer der örtlichen Baustellen entpuppt. Auch der folgende Tankstellenbesuch lässt mich kalt, schließlich wird an Zapfsäule 4 nur Sprit und nicht eine Wegbeschreibung nachgefragt.
Dennoch fällt mir eine Sache auf: Im Auto wird seit geraumer Zeit verdächtig viel Türkisch gesprochen und orientalisch gestikuliert.
Erneute Unstimmigkeiten auch beim Verlassen des Petroleum-Versorgers: Wieder setzte sich Gitarrist Ibrahim durch und forciert die (unerlaubte) Umnutzung der Auffahrt zur Ausfahrt, so dass wir – die Hauptstraße kreuzend – ein Stückchen zurück fahren. Trotzdem, die werden das schon richten, denke ich mir.
Dennoch fällt mir wiederum eine Sache auf: Die Zahl der Flugzeuge, die am dämmernden Himmel zu sehen ist, geht stark gegen null – und das ungefähr seit wir ins Auto gestiegen sind.
Als der Disput zwischen Kunst und Wissenschaft im vorderen Teil unseres Kreuzers erneut aufbricht, beginne ich, die Umgebung verstärkt nach Flughafen-Beschilderung (oder überhaupt Beschilderung) abzusuchen. Erfolgserlebnisse bleiben aus, dafür wandelt sich die Straße und nimmt fernverkehrsartige Züge an. Als ich mich erstmals nach unserer genauen Position und den Zielkoordinaten erkundigen will, atmet die komplette Besatzung gerade erleichtert auf: Groß prangt ein Flugzeug-Symbol am Straßenrand, demzufolge wir uns bei der nächsten Ausfahrt rechts halten sollen.
Minuten später fällt mir dennoch eine Sache auf: Für einen Flughafenzubringer verfügt unsere Straße mittlerweile über bemerkenswert viele Serpentinen und gleichzeitig über bemerkenswert wenige Mittelstreifen, die etwa vorhandene Fahrspuren trennen könnten.
Um ehrlich zu sein, stimmt die Anzahl der Mittelstreifen ziemlich genau mit der Anzahl der Flugzeuge am Himmel überein. Das fällt offenbar auch meinem Kabinenpersonal auf, das sich schließlich im nächsten Dorf (!) auf einen Zwischenstopp einigen kann, um mit den Inhabern des örtlichen Kebab-Imbiss über die genaue Lage des Gazianteper Flughafens zu debattieren. Vielleicht hätte ich es ahnen können, als Kollege und Rücksitznachbar Mustafa (auch Musiker) am frühen Nachmittag meine (selbst gezeichnete aber ganz manierlich gelungene) Weltkarte auf den Kopf drehte, um mich zu fragen, wo ich denn schon überall gewesen sei…
Wie auch immer, selig sind die orientierungslosen. Denn die beiden Kebab-Kollegen dagegen scheinen sich in der erweiterten Metropolregion Gaziantep und den örtlichen Berghängen bestens auszukennen, deuten vehement und unbeirrbar in zwei unterschiedliche Richtungen... Während ich im Kopf schon mal durchrechne, was mich ein weiteres Ticket gen Beirut an Geld und Nerven kostet, tut sich draußen etwas: Der Junior-Chef der Kebab-Connection schwingt sich samt kleinem Bruder auf das betriebseigene Motorrad, um uns vorauseilend den Weg zu leuchten – keine Ahnung von Geographie aber wahnsinnig hilfsbereit hier!
Wir fahren also ein paar Kilometer die schon bekannten Serpentinen und Schnellstraßen zurück, und sollen uns bei der nächsten Abfahrt wiederum rechtes halten (dieses Mal aus der anderen Richtung kommend…). In der Ferne erblicke ich helle massive Klotz-Strukturen, die mit ein wenig guten Willen als Flughafengebäude durchgehen könnten und bekomme sofort steigenden Puls. Der senkt sich allerdings wieder, als sich besagte Strukturen als Düngemittelfabrik herausstellen und die Anzahl der Flugzeuge am Himmel nach wie vor stagniert.
Im Wagen ist es mittlerweile verdächtig still geworden, gebannt blicken vier Augenpaare auf die sich wiederum verändernde Straße. Die gibt sich nach der Düngemittel-Passage wieder sandig, einspurig, serpentienisch und lässt damit erneut den Charakter eines Flughafenzubringers vermissen. Immerhin gibt es Anzeichen von Zivilisation, ein Jeep steht mit Warnblinkern schräg auf der „Gegenfahrbahn“, die Höchstgeschwindigkeit ist qua Schild auf 30 km/h begrenzt.
„Wenn der Weg falsch ist, dann verprügeln wir Ibrahim“, blickt Mustafa nüchtern voraus. Ich füge hinzu, dass ich das Spektakel dann in Bild und Ton festhalten könne, um aus dem Verkaufsgewinn das nächste Flugticket zu finanzieren. Der Vorschlag wird mit 2/3-Mehrheit der Einheimischen (und damit Stimmberechtigten) abgenickt.
Schweißperlen sammeln sich auf Ibrahims Stirn, als wir von unserem Feldweg gen Schnellstraße gelenkt werden. Die zeichnet sich zwar durch Mehrspurigkeit, Beleuchtung und -schilderung aus, allerdings fehlt auf letzterer nach wie vor jeder Hinweis auf ein Rollfeld von überregionaler Bedeutung. Stattdessen hangeln sich kleine Ortschaften als Lichterflecken an den umliegenden Hügelhängen – von einer für die Platzierung eines solchen Rollfelds unerlässlichen Hoch- oder Tiefebene ist über Kilometer nichts zu sehen.
Ibrahims Einsilbigkeit hat mittlerweile Charakterzüge eines Schweigegelübtes angenommen, als endlich, endlich, endlich ein kleines Flugzeugsymbol auf grünem Grund über der Straße prangt. Entfernungsangaben fehlen zwar, aber Ali gibt noch mal Bleifuss. Zwei Kilometer weiter wird scharf links abgebogen (Leitplanke hier unterbrochen) und ich werde direkt vor das Terminal kutschiert. Der Schutzmann bläst energisch in die Trillerpfeife, Autos hupen von allen Seiten und binnen 35 Sekunden wird mein Rucksack aus dem Kofferraum, gewuchtet, die Verabschiedungszeremonie durchgeführt, der Schutzmann besänftigt und Weltreisender Borgmann die Richtung zum korrekten Terminal bedeutet.
Montag, 14. September 2009
Herr Agent, es brennt!
Läuft doch, meine Anhalter-Premiere im türkischen Südosten!
Nur ein paar Minuten zuvor hatte mich Ibo an der letzten Bushaltestelle von Mardin abgesetzt, mir den einzigen Fleck mit Schatten empfohlen und viel Glück für meine Tour per Anhalter ins knapp 200 km entfernte Urfa gewünscht. Beginn verläuft vielversprechend: Praktisch die erste Karre springt auf mein liebevoll gemaltes Schild (Deckel einer alten Pizza-Schachtel) an, Kojak und Co. wollen mich zumindest bis ins 25 Landstraßen-km entfernte Kiziltepe mitnehmen.
20 Minuten und 8 km später deutet sich an, dass die Geschichte länger dauern kann. Denn nach den ersten eigenen Geh(Fahr)versuchen vom Kollegen aus Ingolstadt scheint klar: Der macht keinen Mucks mehr. Folglich wird der A4 wieder an die Leine genommen und auf ein nahe gelegenes, ziemlich heruntergekommenes, ziemlich verstaubtes, ziemlich verrostetes und wenig ziemlich Vertrauen erweckendes KFZ-Reparatur-Areal geschleppt. Auf dem Weg kann ich den kurdischen Kollegen von meiner Weltreise berichten und mir anhören, dass Atheismus totaler Blödsinn sei. Im Interesse einer fortschreitenden Beförderung lasse ich von Diskussionen ab und schrecke erst auf, als kurz nach Auffahrt auf das Werkstatt-Gelände das Abschleppseil reißt.
Hektik allenthalben wird gefolgt von kollektivem Autoschieben, schließlich muss der Audi in die nächste Garage bugsiert werden. Nach anschließenden Verhandlungen mit der Vertragswerkstatt steigen Borgmann, Kojak, die beiden Kurden und Genosse Beifahrer wieder in den Benz. Mein großer Rucksack wandert in den Kofferraum, denn Europa und die Türkei rücken näher zusammen: Zu uns drei gesellt sich der vollkommen ölverschmierte Audi-Fahrer in Ermangelung eines fahrbaren Untersatzes auf die Rückbank.
Blöd dabei: Im Fahrzeuginneren wird mit einmal nur noch Türkisch gesprochen und einer meiner Sitznachbarn erläutert dem bulligen Neuankömmling meine Reiseroute (Hindistan, Cin, soweit reichen meine Fremdsprachenkenntnisse mittlerweile). Mit gespannter Neugier warte ich auf des Mechanikers Reaktion, aber der lacht mich nur dreckig aus und sabbelt in Landessprache weiter. Unbehagen macht sich breit...
Ist ja nur Kiziltepe, mache ich mir Hoffnung, dass die Tour bald vorbei ist. Schließlich kommen nach insgesamt knapp einer Stunde die T-Kreuzung und die Landstraße nach Urfa in Sicht. Raus hier, gerne zügig! Aber was macht Kojak? Brettert über die Kreuzung, fährt ein paar Meter auf der Gegenfahrbahn, biegt dann links auf einen kleinen Sandweg ein – weg von der Hauptstraße! „You can drop me here“, schlage ich ansatzweise panisch vor. „No, no, we take you further“, entgegnet Kojak. SCHEIßE!!!
“No really, please drop me here!” Ich werde lauter und mir geht richtig die Muffe, zumal der Ölverschmierte wieder anfängt zu lachen. „Really?“ „Yes, please!! Stop here!“, rufe ich.
Der Benz bremst abrupt und mein Puls geht zurück auf 145. Wir wollten dich doch nur zur Bushaltestelle bringen, sagt Kojak. Ich danke und will nur noch meinen Rucksack wiederhaben, dann schnell zurück zur Hauptstraße und weg von der Bande hier. Sei vorsichtig, nicht alle sind hier so nett wie wir, ruft Kojak mir noch hinterher. Mit mir steigen die beiden Kurden vom Anfang aus und trotten zur Hauptstraße. Auch auf die zwei Nasen habe ich gerade nicht so viel Lust. Der eine fragt mich noch nach meiner Meinung zu Özalan, dann bin ich endlich alleine und atmete tief durch.
Und jetzt noch 170 km bis Urfa? Das kann ja heiter werden... Aber zehn Minuten später haben sich Lage und Borgmann beruhigt. Der sitzt in einem klimatisierten Rüsselsheimer Fabrikat alleine auf der Rückbank, Fahrer und Co-Pilot sprechen kein Englisch, zeigen sich dennoch schwer beeindruckt von meiner Worldtour, geben mir ihre Visitenkarte und lassen mich die folgenden eineinhalb Stunden in Ruhe, bis sie mich ungefähr 5 Fuß-Minuten von meinem Hostel entfernt absetzen. Das war ja nun fast wieder langweilig. Ist aber auch schwer, es mir recht zu machen…
Mittwoch, 9. September 2009
Anatolien bei Nacht
Typisch allerdings für den nachtaktiven Flattermann: Ein Großteil seiner Flotte kreuzt nach Sonnenuntergang durch die Weiten Anatoliens. Nach ungeahnt langem Aufenthalt in Ankara, ersten diplomatischen Verwerfungen zwischen Bundesrepublik und den syrischen Kollegen wegen der Nicht-Gewährung eines Visums für einen namentlich nicht genannten deutschen Staatsangehörigen im besten Weltreise-Alter (trotz Ausstellung einer Grenzempfehlung für selbigen) und damit verbundenem Zeitverlust greife auch ich zum Nachtbus, um auf dem Weg gen Osten Boden gutzumachen.
Von der Hauptstadt geht es nach Göreme, Malatya, Mardin, (Sanli)Urfa und dann volley an des Syrers Grenze, um dort qua Devisenhandel den Transit zu forcieren – andernfalls nach (Gazi)Antep, dort betreibt der renitente Nachbar ein weiteres Konsulat, mit dem womöglich einfacher zu reden ist...
Dabei nicht ganz einfach: minütlich von türkischem Akzent auf australischen Dialekt zu wechseln! Sonst aber (natürlich) ein sehr unterhaltsames Völkchen.
Letzterer vermittelt mich auf dem kurzen Dienstweg an seinen Bruder Emrah in Mardin, meinem nächsten Anlaufpunkt. Die dritte Nachtbustour binnen fünf Tagen endet erneut in unchristlicher (in Anatolien besonders witzig) Ankunftszeit (3.30 Uhr nach 5.30 Uhr in Göreme und 4.30 Uhr in Malatya). Der geübte Nachtbuspassagier hat aber mittlerweile eigene Rituale entwickelt, schläft ebenso problemlos an zentralen Omnibushaltestellen wie auf Kinderspielplätzen. Dennoch wird folgenschwerer Entschluss gefasst: Die nächste Tour wird kostenneutral mit Pappschild („URFA“) in der Pfote betrieben – und ausnahmsweise mal bei Tag, denn der Zeit scheint genug aufgeholt!
Gerade war er in Chicago zum großen türkischen Kulturfest eingeladen, zeigt stolz Fotos und Visa, versorgt mich trotz Ramazan mit Tee und reiht sich nahtlos ein in die Riege der unbeschreiblich gastfreundlichen und hilfsbereiten Türken, die ich an jeder Ecke treffe – da können wir uns aber mehr als eine Ecke von abschneiden!
Zwar muss Lehrer Emrah am (Samstag)Nachmittag eine Klausur beaufsichtigen, aber Mitbewohner Ibo (Ibrahim) und seine Freundin kümmern sich phantastisch um mich. Bieten an, ich könne auch in ihrer Wohnung übernachten statt als Ritter vom Pappschild meinen Weg nach Urfa zu suchen. Soo einfach sei das nämlich nun wieder auch nicht, außerdem hats draußen um die 40 Grad und so weiter. Aber mein Schild ist fertig, und Ibo bringt mich bis zur Kreuzung, wo die Straße nach Kiziltepe und Urfa führt. Dann mal los...
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