Mittwoch, 9. September 2009

Anatolien bei Nacht

Dengelengelengelengelengel-engelengelengelengel – Batman! Wenn sich in Gotham City sogar Streifenpolizisten langweilen, dann geht der Ritter von der Schallpeilung seiner Zweitbeschäftigung nach. Seit Jahren leitet die geschäftstüchtigste Fledermaus des Planeten ein florierendes Busunternehmen mit Sitz in der südöstlichen Türkei (Eingeweihte denken jetzt vielleicht an Döner...). Dabei legt Bruce Wayne natürlich auch hier größten Wert auf Technik, Breitbandinternet im Bus ist selbstverständlich – allerdings nicht bei all seinen Kollegen von der Landstraße.
Typisch allerdings für den nachtaktiven Flattermann: Ein Großteil seiner Flotte kreuzt nach Sonnenuntergang durch die Weiten Anatoliens. Nach ungeahnt langem Aufenthalt in Ankara, ersten diplomatischen Verwerfungen zwischen Bundesrepublik und den syrischen Kollegen wegen der Nicht-Gewährung eines Visums für einen namentlich nicht genannten deutschen Staatsangehörigen im besten Weltreise-Alter (trotz Ausstellung einer Grenzempfehlung für selbigen) und damit verbundenem Zeitverlust greife auch ich zum Nachtbus, um auf dem Weg gen Osten Boden gutzumachen.

Von der Hauptstadt geht es nach Göreme, Malatya, Mardin, (Sanli)Urfa und dann volley an des Syrers Grenze, um dort qua Devisenhandel den Transit zu forcieren – andernfalls nach (Gazi)Antep, dort betreibt der renitente Nachbar ein weiteres Konsulat, mit dem womöglich einfacher zu reden ist...

Zunächst aber mal Kultur: In Kappadokien (Göreme) lauert mehr Menschheitsgeschichte als Steckbriefe in Gotham, dazu hat Mutter Natur durch Erbeben in Tateinheit mit Vulkanausbruch und fluvialer Erosion (Geograph, har har) manch Ungewöhnliches geschaffen. Kollege Sapiens tat sein Übriges, baute Behausungen und Kirchen aus wildesten Felsformationen, ganze Städte in den Untergrund und sorgt für offenen Mund beim Betrachter. Der setzt sich zu 75% aus Australien zusammen (8 von 12 auf unserer Tour), was einschlägige Vorurteile darüber bestätigt, wen man in den Hostels dieser Welt so treffen kann...
Dabei nicht ganz einfach: minütlich von türkischem Akzent auf australischen Dialekt zu wechseln! Sonst aber (natürlich) ein sehr unterhaltsames Völkchen.

In Malatya dann aber wieder vermehrt Locals. Couchsurfer Ahmet spielt Trommel in der Militärkapelle, berichtet über die Streitkräfte und hält zu meiner Verwunderung nicht viel von Ramad(z)an. Dabei hatte ich doch fest damit gerechnet, im Zentrum Anatoliens auf strikt praktizierende Moslems zu treffen... Auch Medizinstudentin Aysen hält wenig vom Fasten (und von Malatya im Allgemeinen), erklärt aber, dass die beiden damit doch eher die Ausnahme in der konservativen Heimat der Aprikose (hier ganz heiß: Apriko-Döner…) seien. Mehr Kultur: Um die Ecke auf Berg Nemrut hat Kollege Antiochos sich sein weltgeschichtliches Denkmal durch übermäßigen Statuenbau gesetzt (persiche und griechische Kultur Hand in Hand, ein deutscher Ingenieur hats entdeckt!), dorthin ziehts auch Australien-Tom aus Göreme. Mich dagegen zu Kontakt- und Kultur-Austausch mit Aysen und Ahmet.
Letzterer vermittelt mich auf dem kurzen Dienstweg an seinen Bruder Emrah in Mardin, meinem nächsten Anlaufpunkt. Die dritte Nachtbustour binnen fünf Tagen endet erneut in unchristlicher (in Anatolien besonders witzig) Ankunftszeit (3.30 Uhr nach 5.30 Uhr in Göreme und 4.30 Uhr in Malatya). Der geübte Nachtbuspassagier hat aber mittlerweile eigene Rituale entwickelt, schläft ebenso problemlos an zentralen Omnibushaltestellen wie auf Kinderspielplätzen. Dennoch wird folgenschwerer Entschluss gefasst: Die nächste Tour wird kostenneutral mit Pappschild („URFA“) in der Pfote betrieben – und ausnahmsweise mal bei Tag, denn der Zeit scheint genug aufgeholt!

Zuvor in Mardin aber erneut Kultur im Schnelldurchlauf. Uralte Stadt am südlichen Berghang (nördliche Seite neu und wenig hilfreich) mit großer Burg, von der aus heute des Türken Kampfjets koordiniert werden – klassisches Nachnutzungskonzept! Die Straßen sind so alt, eng und klein, dass die wichtigsten Mitarbeiter der örtlichen Müllabfuhr auf den Namen „Esel“ hören und mit mir hinunterblicken können über das weite Mesopotamien. Dank Emrah lerne ich Handwerks-Virtuose Hazan kennen, Großmeister auf dem Gebiet handgefertigter arabischer Heiligenbilder der Mythenfigur Shahmaran und Kunstwerken aller Art. Emrah sagt, er sei in der ganzen Türkei wirklich berühmt. Und an irgendjemanden erinnert er mich, weiß aber nicht an wen...
Gerade war er in Chicago zum großen türkischen Kulturfest eingeladen, zeigt stolz Fotos und Visa, versorgt mich trotz Ramazan mit Tee und reiht sich nahtlos ein in die Riege der unbeschreiblich gastfreundlichen und hilfsbereiten Türken, die ich an jeder Ecke treffe – da können wir uns aber mehr als eine Ecke von abschneiden!

Zwar muss Lehrer Emrah am (Samstag)Nachmittag eine Klausur beaufsichtigen, aber Mitbewohner Ibo (Ibrahim) und seine Freundin kümmern sich phantastisch um mich. Bieten an, ich könne auch in ihrer Wohnung übernachten statt als Ritter vom Pappschild meinen Weg nach Urfa zu suchen. Soo einfach sei das nämlich nun wieder auch nicht, außerdem hats draußen um die 40 Grad und so weiter. Aber mein Schild ist fertig, und Ibo bringt mich bis zur Kreuzung, wo die Straße nach Kiziltepe und Urfa führt. Dann mal los...

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