
Gibt es standardisierte Spitznamen für Kamele? Vergleichbar mit Fury oder Bello? Mir faellt in Old Kairo keiner ein und wenn auch sonst niemand (Hani?) einen kennt und mir diesen umgehend mitteilt, dann heisst mein Wüstenschiff in Ermangelung eines solchen ab jetzt schlicht Erwin. Auf dessen Rücken (Hoecker?) reite ich an meinem ersten Tag in Kairo gemütlich schaukelnd wundersamer Weltgeschichte entgegen. Komplettiert wird unsere schlagfertige Reisegruppe von einem per definitionem geldgierigen Guide (auf Fury) und einem kleinen Buben, der Erwin an der kurzen Leine haelt und zu meinen Füssen durch den breehheennendheissen Wüüüüstensand stapft.Neben dem Sand scheint Junior vor allem die Sonne zu Kopfe zu steigen, schliesslich macht er beim Fototermin Faxen ohne Ende und ruiniert so die kunstvoll entwickelte Komposition aus Erwin, Pyramiden und mir. Logische Folge: Der geldgierige Vorgesetzte schickt den kleinen badebelatschten Mops bei der naechsten Knipspause in die Wüste (hihi), um Erwin und mich alleine vor historischer Kulisse wirken zu lassen. Das klappt zunaechst auch sehr manierlich – Erwin und ich harmonieren wie Netzer und Delling beim Laenderspiel. Routine und Gelassenheit spricht aus unseren Gesichtern. Doch Erwins Laecheln ist nur Fassade! Beim fünften Shooting bricht der Unpaarhufer aus, wittert den Geruch von Sandsturm und Freiheit mit den von Fliegen besetzten Nüstern (heisst das so?) und beschleunigt umgehend. Bei Fahrgast Borgmann macht sich schnell die Erfahrung aus 13 Jahren semiprofessionellem Springreiten – eher das Fehlen dieser – bemerkbar, der sucht neben sich naemlich vergeblich nach Handbremse und Steuerrad. Erwin (knapp ein PS, viel Hubraum, schlecht frisiert) naehert sich mittlerweile stark schaukelnd (klar, ist sich Wüstenschiff…) seiner gelaendetypischen Hoechstgeschwindigkeit von 12 bis 14 Knoten waehrend ich an Bord versuche, mich auf zentrale Aspekte des Krisenmanagements zu konzentrieren. Da waere 1. „Ruhe bewahren“ – ok, haben wir. 2. „Situation analysieren“ – haben wir auch, schwankt zwischen bedenklich und bedrohlich (quasi Seenot). 3. Gegenmassnahmen prüfen – da war das mit der Handbremse, vielleicht gibbet noch mehr!? Eine eingehende Prüfung aller Optionen (Schleudersitz, Beiboot, Fallschirm, Schwimmweste, Bolzenschussgeraet, seilaehnliche Steuervorrichtung) laesst meine Wahl für 4. (Gegenmassnahmen durchführen) auf letztere Option fallen. Ein beherzter Griff zur Leine und ich bedeute Erwin durch kontrolliertes aber bestimmtes Ziehen an selbiger Lenkvorrichtung, dass hier und heute weder Ort noch Zeit zum Aufbruch in ein neues Leben seien. Hauptsaechlich, weil sonst der geldgierige Guide meine noch in seinem Besitz befindliche Kamera verhoekern würde. Fotos von meinem Ueberlebenskampf hat er natürlich nicht gemacht – das gibt spaeter Abzüge beim Trinkgeld, was er (klar!) mit Gequengel quittiert. In jedem Fall zeigen die Gegenmassnahmen Wirkung: Unterstützt durch ein sanftes aber eindringliches „hooo!“ sowie den hektisch aber wenig effektiv hinter uns her stolpernden Mops und den Geldgierigen, der gerade seinen Gaul besteigt, um die Verfolgung aufzunehmen (oder mit meiner Kamera zu türmen), laesst mein behoeckertes Transportmittel sich zum Stillstand bringen. Und erhoeht damit womِglich die Chance, dass wir uns in diesem Leben ein zweites Mal begegnen – ich als bestürzter Geschaeftsbesucher, Erwin als Mantel... Doch da sei sein Freiheitsdrang vor.Für den naechsten (dann vielleicht mal unbemannten, weil mehr Erfolg versprechenden) Ausbruchsversuch wünsche ich dir auf diesem Weg alles Gute!

Dann wird es Nacht in Old Kairo – was im Ramadan bedeutet, dass ganz schwer die Hütte brennt, weil nun gefuttert, getrunken (noch keinen Alkohol hier gesehen) und geraucht werden kann. Nur eine Kamelleine vom Nil entfernt erreicht die Nacht schliesslich mit einer Partie Strassenfussball im Laternenschein ihren Hoehepunkt. Old Kairo, also dort, wo mein Couchsurfer Mohamed wohnt, ist jetzt nicht diiieee erste Adresse in der Stadt, sondern versprüht unverblümten Entwicklungsland-Charme. Entsprechend ungeeignet sind die „Strassen“ zum Praktizieren technisch anspruchsvoller Ballsportarten. Auf der anderen Nil-Seite (Insel) wohnt es sich aber deutlich gehobener (Botschaftsvolk etc.) und die Strassen verfügen über standesgemaesse Ausmasse – ideal für einen Kick 4 gegen 4, bei dem sich der knietechnisch wieder genesene Borgmann als Ballverteiler im Mittelfeld (Mittelstreifen) versucht. Auf engem Raum greifen zwar die Defensiv-Qualitaeten, allerdings reicht’s mit dem Ballzauber noch nicht so, weswegen beim Stand von 3:3 (bis 5, zwei Tore Vorsprung, es geht um 1 Pfund = 12 Cent Einsatz pro Nase!) ins Tor gewechselt wird.Zwar kommt der Untergrund (Beton, wen wundert’s) meinem Bewegungsablauf nur maessig entgegen, doch um 2:35 Uhr jubelt Team Borgmann nach mehr als 90 Minuten Nervenkrieg über das 7:5 und die Entscheidung. Interessant dabei die Vielfaeltigkeit der Fussbekleidung: Von Chucks (moi) über glaenzende Nike-Treter, Badelatschen (bester Spieler auf dem Acker!) und mit ohne Schuhwerk ist alles dabei. Anschlieكend geht es bis 4:20 Uhr weiter durch Old Kairo, dann gibt’s die letzte Mahlzeit vor dem Fasten und endlich Schlaf so gegen 5 Uhr. Mein Biorhythmus ist nach einem Tag Kairo schon komplett im Eimer...
Wow, was für eine Kopfbedeckung! Und über die wird kein Wort geschrieben. Wie geht es dir? Spannende Geschichten und ich hab endlich mal Zeit sie alle zu lesen.
AntwortenLöschenPhysikum geschafft - mit Pferd was wieder mal in top-Form ist und nicht höher springt, als es muss!
Lass mal wieder was von dir hören.
Beste Grüße
H.
Ja und auch der eher unzufriedene Gesichtsausdruck und verkrampfter Jockey-Sitz wurden nicht kommentiert! Habe Tränen gelacht!!
AntwortenLöschenLG