Freitag, 2. Oktober 2009

Luxor per Zug

Truebe Laune macht sich kurz vor Abfahrt des Pharaonen-Express breit, als bei Rueckkehr in das Borgmannsche Domozil lebendige Floh-Rudimente entdeckt werden. Mit nicht zu verkennender Panik wird Rucksack eins (gross) bei Mohamed Mutti untergebracht (garantiert flohfrei) und Flohopfer Borgmann mit leichtem Gepaeck auf die Reise gen Hauptbahnhof und Luxor geschickt. Steine purzeln, als endlich Sitz 35 in Wagon 9 erreicht und die Klimaanlage offenbar dezent aktiviert ist.
Die geloeste Stimmung verfliegt allerdings binnen Minuten, als sich kurz nach Verlassen von Kairo Hbf ein zweiter Anwaerter auf „meinen“ Sitz zu erkennen gibt. Fachkundige Begutachtung meines (nur arabisch beschriebenen) Tickets durch den anrueckenden Schaffner enthuellt: Die Pappkarte ist unguenstigerweise fuer morgen ausgestellt. Ja Mensch, was ein Zufall. Erste Ueberlegungen des Zugpersonals gehen in die Richtung, mich bei der naechstbesten Gelegenheit raus zu werfen – ohne Ticket bestehe kein Befoerderungsanspruch...

Ich koenne allerdings (weil ja bezahlt und Kulanz des Personals) versuchen, mir einen anderen Platz zu suchen, was am ersten Tag von Eid schlicht unmoeglich ist, weil Aegypten geschlossen zur Familie oder sonst wohin reist und das ueberwiegend per Zug tut. Zur Auswahl stehen damit: Toilette (hm...) und die klassischen Zwischen-Wagon-Bereiche, in denen es zieht wie Hechtsuppe (super bei aufziehender Erkaeltung) und die schon dicht bevoelkert sind – speziell saemtliche Gepaeckablagen, die Schlaf halbwegs moeglich machen. Nach 20 Minuten Irrfahrt durch den Zug und penetrantem aber erfolglosen Nachfragen nach freien Plaetzen stolpere (immer noch stimmlos) ich in mein Schicksal, das auf den Namen Mustafe hoert. Der Junge Mann studiert Chemie an der American University of Cairo, parliert entsprechend fliessend Englisch und rettet mir kurzerhand gefuehlt das Leben. Nach kraechzender Darlegung meiner Lage bietet er umgehend an, seinen Sitzplatz mit mir zu teilen, versucht zuvor auf Nachfrage aber noch, mir einen Platz in Klasse eins (nie voll besetzt!) zu verschaffen.
Er fuehrt die kurzen Verhandlungen mit dem Zugpersonal, erklaert mir, wen ich mit wie viel bestechen sollte und geleitet mich zu meinem Sitz in Klasse eins, wo er noch zweimal (erfolgreich) weitere kurze Verhandlungen fuehren muss. Als er mich dementsprechend abgeliefert hat, schlafe ich (unbeschreiblich dankbar) sofort ein und wache eine Stunde spaeter auf, als Mustafa erneut neben mir sitzt und eine Tuete mit Obst, Apfelsaft und Keksen in der Hand haelt, die er mir an der letzten Station ergattert hat. Ich solle weiter schlafen und bei aufkommendem Hunger was zu futtern haben, sagt er und verabschiedet sich wieder in seinen Wagon.
Kurz vor seiner Station kommt er noch mal vorbei um sicherzugehen, dass ich in Ordnung bin, erzaehlt mir ein bisschen von seinem Interesse an deutschen Philosophen und macht sich in Qena (da wohnen seine Eltern) dann vom Acker – der Mann gehoert in den Heiligenstand erhoben!

Das geht meines bescheidenen katholischen Wissens nach allerdings nur posthum, hat also hoffentlich noch Zeit. Anders dagegen auf der Rueckfahrt nach zwei halbwegs erholsamen Tagen in Luxor. Dort achte ich penibel auf das Gueltigkeitsdatum des Tickets, das mir Touristen-Faenger Mohamed (ein anderer, die heissenhier alle so) auf dem Schwarzmarkt besorgt hat (weil Tickets auch am letzten Tag des Eid-Festes – was ein Timing – rar sind).
Datum, Zug (verspaetet wie immer hier), Wagon und Platz stimmen, allerdings ist es drinnen etwas frisch. Was soll’s Hauptsache ich bin morgen um sieben Uhr (geplante Ankunft 5.30h) in Cairo um meinen Flieger nach Dubai um 9 Uhr zu bekommen. Schreck dann aber gegen Mitternacht. Hinter mir faengt es laut an zu schreien. Ich tippe vom Geraeusch her auf Baby und versuche weiter zu pennen bis das Gebruell lauter und wird und Hektik im Wagon ausbricht. Der Schulterblick offenbart: Wer hier bruellt ist rund 40 Jahre alt, hat die Augen fest geschlossen, wird von Kraempfen geschuettelt und seine um ihn versammelte Familie ist in Traenen aufgeloest.

Als nach einigen Minuten immer noch kein Arzt zur Hilfe gekommen ist, frage ich mich gerade, ob die nicht Zug fahren. Doch da kommt ein Mann in Weiss und mit Kape auf dem Kopf herein. Der Baertige entpuppt sich allerdings nicht als Mann der Spritze sondern des Gebetsbuchs und faengt an, auf Teufel komm raus (...) auf den Schreienden einzubeten.
Ein wenig Wasser ist die einzige Medizin, die verabreicht wird, ansonsten wird eine halbe Stunde lautstark gebetet. Der Mann braucht keinen Prediger sondern einen Arzt, denke ich, will als einziger Touri im Zug aber auch nicht den ach so gebildeten Westeuropaeer heraushaengen lassen. Aber trotz aller Beterei hat es den Anschein, dass der Typ hier mitten unter uns stirbt. Seine Frau steht kurz vor dem Zusammenbruch, seine Mutter sitzt direkt hinter mir und hat das Gesicht in ihrem Umhang vergraben. Ruckartig reisst der Mann seinen rechten Arm in die Hoehe und deutet nach Oben. Will er sagen, dass er jetzt gen Himmel auffaehrt?
Weiter wird nur gebetet und der ganze Wagon schaut wie paralysiert zu. Wir halten zwischendurch an zwei Haltestellen und Menschen kommen und gehen – auch durch den Wagon. Was eine bizarre Szene. Aber nirgendwo wird der vielleicht Sterbende aus dem Zug und zu einem Arzt gebracht. Vorsichtig frage ich nach und bekomme nur heraus, dass die Familie auf dem Weg nach Kairo zu einem Spezialisten sei. Was genau dem Mann fehlt kann mir niemand erklaeren.
Nach gut einer Stunde werden die Schreie weniger und der Prediger laesst von dem Mann ab. Er ist nicht tot, sein Gesicht aber immer noch verkrampft, die Augen hat er waehrend der gesamten Zeit nicht ein Mal geoeffnet. Es scheint im besser zu gehen, denn die Anspannung im Wagon loest sich ein wenig. Die Menschen setzen sich wieder auf ihre Plaetze, versuchen zu schlafen. Irgendwann schlafe auch ich wieder ein, wache erst auf als es draussen schon hell ist und wir durch die Vororte von Kairo fahren. Der Mann schlaeft drei Reihen hinter mir, seine Frau haelt seit Stunden seinen Kopf.
Es ist Viertel vor sieben (eineinhalb Stunden Verspaetung) und ich rufe Mohamed an, der meinen grossen Rucksack zum Bahnhof bringen will, damit ich direkt zum Flughafen fahren kann und meinen Flieger noch bekomme. Eine halbe Stunde spaeter steige ich auf dem Zug, kurz hinter mir der Mann, der in der Nacht seinen Todeskampf gewonnen zu haben scheint. Er kann gehen aber sein Blick geht ins Leere.
Um 7.40 Uhr kommt Mohamed mit meinem Rucksack die Stufen von der Metro hoch gelaufen. Fuer unsere Verabschiedung haben wir zwei Minuten, dann springe ich ins Taxi, das mich mit Hoechstgeschwindigkeit zum falschen Flughafenterminal (2) bringt. Das stelle ich aber erst drinnen um 8.02 Uhr fest und muss knappe zehn Minuten zu Terminal 3 rennen. Dort bruelle ich „Dubai“ in Richtung Check-In-Schalter und hoer „closed, do you know what time it is!?“ Penetranz meinerseits setzt sich aber durch, ich kann die Schlange umgehen und um 8.25 Uhr einchecken, als das Boarding offiziell gerade beginnen soll. Gegen 10.30 Uhr heben wir dann mit 1,5 Stunden Verspaetung endlich ab. Auf nach Dubai – hoffentlich zum Entspannen und Erkaeltung auskurieren...

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