Mittwoch, 16. September 2009

Flughafenzubringer

Zum Türkei-Abschluss gibt’s nen Lamacun mit Ali und seinen Kumpels, dann geht’s zur Karre und ab gen Airport von Gaziantep. Dort (nicht am Flughafen) haben sich meine letzten Hoffnungen in puncto syrisches Visum zerschlagen, zudem mag mich der Schalterbeamte des Konsulats jetzt ganz besonders gerne... Resultat sind diplomatische Verwerfungen zwischen Deutschland und Syrien – und ich bin gezwungen, den Flieger statt Landweg nach Beirut zu nehmen.
Doch zurück zu erfreulicheren Dingen: Schon beim Ausparken gibt es Unstimmigkeiten zwischen Fahrer und Couchsurfer Ali (Ingenieur, Dozent an der Uni) und Ibrahim (Musiker, lange Haare). Kunst schlägt Wissenschaft und wir fahren durch verschiedene Wohngebiete (hier hat übrigens jede Bude einen überdimensioniertem Wasserkocher mit Solarantrieb auf dem Dach) irgendwie Richtung Südosten (sagt mir der Sonnenstand). Soweit so gut denkt sich der ortsblinde Passagier Borgmann und vertraut ebenso blind auf die irgendwie schon vorhandene Ortskenntnis seiner Begleiter.

Nach Auskunft von Ali hätte ich den Shuttle-Service aus der Innenstadt um spätestens 18.30 Uhr nehmen sollen, aber nun seien wir ja mit dem Auto unterwegs und schnell und würden das schon hinbekommen. Leise Skepsis bahnt sich erstmals ihren Weg, als wir statt über Asphalt über eine Sandpiste holpern, was sich jedoch lediglich als semilegale Abkürzung über einer der örtlichen Baustellen entpuppt. Auch der folgende Tankstellenbesuch lässt mich kalt, schließlich wird an Zapfsäule 4 nur Sprit und nicht eine Wegbeschreibung nachgefragt.
Dennoch fällt mir eine Sache auf: Im Auto wird seit geraumer Zeit verdächtig viel Türkisch gesprochen und orientalisch gestikuliert.
Erneute Unstimmigkeiten auch beim Verlassen des Petroleum-Versorgers: Wieder setzte sich Gitarrist Ibrahim durch und forciert die (unerlaubte) Umnutzung der Auffahrt zur Ausfahrt, so dass wir – die Hauptstraße kreuzend – ein Stückchen zurück fahren. Trotzdem, die werden das schon richten, denke ich mir.
Dennoch fällt mir wiederum eine Sache auf: Die Zahl der Flugzeuge, die am dämmernden Himmel zu sehen ist, geht stark gegen null – und das ungefähr seit wir ins Auto gestiegen sind.
Als der Disput zwischen Kunst und Wissenschaft im vorderen Teil unseres Kreuzers erneut aufbricht, beginne ich, die Umgebung verstärkt nach Flughafen-Beschilderung (oder überhaupt Beschilderung) abzusuchen. Erfolgserlebnisse bleiben aus, dafür wandelt sich die Straße und nimmt fernverkehrsartige Züge an. Als ich mich erstmals nach unserer genauen Position und den Zielkoordinaten erkundigen will, atmet die komplette Besatzung gerade erleichtert auf: Groß prangt ein Flugzeug-Symbol am Straßenrand, demzufolge wir uns bei der nächsten Ausfahrt rechts halten sollen.

Minuten später fällt mir dennoch eine Sache auf: Für einen Flughafenzubringer verfügt unsere Straße mittlerweile über bemerkenswert viele Serpentinen und gleichzeitig über bemerkenswert wenige Mittelstreifen, die etwa vorhandene Fahrspuren trennen könnten.
Um ehrlich zu sein, stimmt die Anzahl der Mittelstreifen ziemlich genau mit der Anzahl der Flugzeuge am Himmel überein. Das fällt offenbar auch meinem Kabinenpersonal auf, das sich schließlich im nächsten Dorf (!) auf einen Zwischenstopp einigen kann, um mit den Inhabern des örtlichen Kebab-Imbiss über die genaue Lage des Gazianteper Flughafens zu debattieren. Vielleicht hätte ich es ahnen können, als Kollege und Rücksitznachbar Mustafa (auch Musiker) am frühen Nachmittag meine (selbst gezeichnete aber ganz manierlich gelungene) Weltkarte auf den Kopf drehte, um mich zu fragen, wo ich denn schon überall gewesen sei…
Wie auch immer, selig sind die orientierungslosen. Denn die beiden Kebab-Kollegen dagegen scheinen sich in der erweiterten Metropolregion Gaziantep und den örtlichen Berghängen bestens auszukennen, deuten vehement und unbeirrbar in zwei unterschiedliche Richtungen... Während ich im Kopf schon mal durchrechne, was mich ein weiteres Ticket gen Beirut an Geld und Nerven kostet, tut sich draußen etwas: Der Junior-Chef der Kebab-Connection schwingt sich samt kleinem Bruder auf das betriebseigene Motorrad, um uns vorauseilend den Weg zu leuchten – keine Ahnung von Geographie aber wahnsinnig hilfsbereit hier!
Wir fahren also ein paar Kilometer die schon bekannten Serpentinen und Schnellstraßen zurück, und sollen uns bei der nächsten Abfahrt wiederum rechtes halten (dieses Mal aus der anderen Richtung kommend…). In der Ferne erblicke ich helle massive Klotz-Strukturen, die mit ein wenig guten Willen als Flughafengebäude durchgehen könnten und bekomme sofort steigenden Puls. Der senkt sich allerdings wieder, als sich besagte Strukturen als Düngemittelfabrik herausstellen und die Anzahl der Flugzeuge am Himmel nach wie vor stagniert.
Im Wagen ist es mittlerweile verdächtig still geworden, gebannt blicken vier Augenpaare auf die sich wiederum verändernde Straße. Die gibt sich nach der Düngemittel-Passage wieder sandig, einspurig, serpentienisch und lässt damit erneut den Charakter eines Flughafenzubringers vermissen. Immerhin gibt es Anzeichen von Zivilisation, ein Jeep steht mit Warnblinkern schräg auf der „Gegenfahrbahn“, die Höchstgeschwindigkeit ist qua Schild auf 30 km/h begrenzt.

„Wenn der Weg falsch ist, dann verprügeln wir Ibrahim“, blickt Mustafa nüchtern voraus. Ich füge hinzu, dass ich das Spektakel dann in Bild und Ton festhalten könne, um aus dem Verkaufsgewinn das nächste Flugticket zu finanzieren. Der Vorschlag wird mit 2/3-Mehrheit der Einheimischen (und damit Stimmberechtigten) abgenickt.
Schweißperlen sammeln sich auf Ibrahims Stirn, als wir von unserem Feldweg gen Schnellstraße gelenkt werden. Die zeichnet sich zwar durch Mehrspurigkeit, Beleuchtung und -schilderung aus, allerdings fehlt auf letzterer nach wie vor jeder Hinweis auf ein Rollfeld von überregionaler Bedeutung. Stattdessen hangeln sich kleine Ortschaften als Lichterflecken an den umliegenden Hügelhängen – von einer für die Platzierung eines solchen Rollfelds unerlässlichen Hoch- oder Tiefebene ist über Kilometer nichts zu sehen.
Ibrahims Einsilbigkeit hat mittlerweile Charakterzüge eines Schweigegelübtes angenommen, als endlich, endlich, endlich ein kleines Flugzeugsymbol auf grünem Grund über der Straße prangt. Entfernungsangaben fehlen zwar, aber Ali gibt noch mal Bleifuss. Zwei Kilometer weiter wird scharf links abgebogen (Leitplanke hier unterbrochen) und ich werde direkt vor das Terminal kutschiert. Der Schutzmann bläst energisch in die Trillerpfeife, Autos hupen von allen Seiten und binnen 35 Sekunden wird mein Rucksack aus dem Kofferraum, gewuchtet, die Verabschiedungszeremonie durchgeführt, der Schutzmann besänftigt und Weltreisender Borgmann die Richtung zum korrekten Terminal bedeutet.
Die trödelnde heimische Großfamilie, die an der Osama-Schranke wartet und ihren Kinderwagen röntgen lassen will, wird (links blinken, rechts überholen) eiskalt stehen gelassen und nach vollzogner Waffen-Filzung zielsicher der (völlig leere) Turkish Airways Schalter angepeilt. Dann geht alles ganz schnell: Binnen drei Minuten stehe ich an der zweiten Sicherheitsschleuse, passiere diese acht Minuten vor Abflug – und langweile mich anschließend in der „Lobby“ von „Gate 2“ (von zwei, rechts im Bild: Gate 1), weil mein Vogel (der einzige auf dem Rollfeld, was den Mangel an Objektsichtungen im Luftraum erklärt) ungefähr eine halbe Stunde Verspätung hat...

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