Dienstag, 27. Oktober 2009

Hygiene II

Erste Erfahrungen mit der rein manuellen Spurenbeseitigung sind gemacht, weiter geht es auf der Reise in den Nahen Osten. Ägypten und Dubai warten, bevor es auf indische Toiletten geht. Teil II der Hygiene-Saga.

Ägypten
Ja nun. Wo Flöhe im Teppich sind, da kann es mit der Fäkalinfrastruktur nicht weit her sein. Doch weil der Sanitärbereich nicht in meiner Bruchbude sondern im ersten Stock in den elterlichen vier Wänden untergebracht ist – wenn man muss, dann muss halt geklopft / geklingelt werden – ist alles nicht so wild, sogar europäische Sitzmöglichkeit! Geschicktes Timing ermöglicht die Kombination von langen Sitzungen mit anschließender Duschnutzung, so dass sich das Problem der Spurbeseitigung kaum stellt. Im großen Museum wird auch Papier gereicht, allerdings streng rationiert, so dass es größerer Überredungskunst beim Papierreicher bedarf, um sich mit kompletter Rolle auf der Schüssel einzuschließen. Sparsamer Blick dann beim Bediensteten, als trotz ungewohnt großzügiger Papierspende das Trinkgeld ausbleibt – aber eben darum bittet die Geschäftsführung ausdrücklich auf gesonderter Beschilderung. Papier gibt’s auch in der einen Nacht in Luxor (und damit vorsichtshalber der rucksackinterne Vorrat aufgestockt). Die Benutzung des Zugklos kann dagegen nur in Ausnahmefällen empfohlen werden...

Dubai
Wer Weltrekorde sammelt und Europäer anlockt, der kann natürlich nicht an der Sanitärfront versagen. Entsprechend gestalten sich die öffentlichen Örtchen, bei Chetan in der Bude fehlt zwar die Rektaldüse, dafür erfüllt neben dem Lokus ein klassisches Bidet denselben Zweck. Premiere dabei: Erstmals in knapp 28 Jahre wird selbiges von meiner einer in seiner ihm ursprünglich zugeschriebenen Funktion verwendet!

Indien
So, da wären wir also. Fünf Wochen, rund zehn private, dazu ungezählte öffentliche Klos – vom Sikhtempel bis KFC. Dabei lässt sich nur schlecht verallgemeinern. Grundsätzlich aber ist an baulichem und hygienischem Zustand nichts auszusetzen, auch der erwartete Papiermangel lässt sich bei Weitem nicht überall belegen.
Festhalten lässt sich allerdings: Die frei schwingende Rektaldüse gehört bei jedem european style Klo zur Grundausstattung, Papier findet sich regelmäßig. Häufig reicht die einmalige Verwendung des Zellstoffs aus, um sich der kompletten Spurenverwischung qua Hochdruckreinigung zu vergewissern, nur in Ausnahmefällen muss ein zweites Mal gespült werden. Dabei ist zu beachten, dass obwohl das singuläre Wischen mehr der Absicherung denn der Reinigung dient, Mehrlagigkeit dringend empfohlen wird, weil Überreste der Wasserspülung sonst schlicht den Rudimenteindikator („Papier“) aufweichen und es zum Faserriss kommen kann!
Außerhalb großstädtischer Agglomerationen ist Papier dagegen durchaus als knappes Gut anzusehen. Schon im Hause von Sunnys Familie (Foto oben) stehen nur Hahn und Eimer zur Verfügung, ähnlich verhält es sich in der kleinen Herberge in Rangers in der Mitte zwischen Puri und Konark an der Ostküste (zweites Foto). In beiden Fällen wird papierfrei operiert, was mittlerweile seine abschreckende Wirkung verloren hat.
Lästig ist einzig die Tatsache, dass trotz allgemein guter Verträglichkeit der indischen Küche (Gewürze, Schärfe, etc.) ab und an die Realität nicht mit den eigenen Ansprüchen an gewisse Konsistenzen mithalten kann. Da in solchen Fällen erfahrungsgemäß mehr Spuren zu beseitigen sind als üblicherweise, wird das Papier doch vermisst.

Unangefochtener Höhepunkt (bislang) aber definitiv ein leichter Anfall von „Flotter Otto“ um ca. 3:45h nachts auf der 30-stündigen (!) Zugfahrt von Bhubaneshwar nach Bangalore (ca. 1500 km) und die damit erzwungene zeitintensive Nutzung des Zugklos (unteres Bild). Da kann ein funktionierender Seifenspender doch wahre Glücksgefühle auslösen...
Allerdings ist anzumerken: Der gefühlte Sauberkeitsgrad nach Reinigung mit der Hand-und-Wasser-Methode ist deutlich höher anzusiedeln als nach konventioneller Behandlung! Auch wird aus leicht ersichtlichen Gründen das Risiko des gefürchteten „Wundwischens“ (gerade bei mangelnder Fäkalkonsistenz!) durch gehäufte Benutzung qualitativ fragwürdigen Zellstoffs minimiert. Mein Fazit nach sechs Ländern: Zurück in der Heimat brauche ich unbedingt die frei schwingende Rektalbrause – ein völlig neues Gefühl der Sauberkeit! Und im Notfall geht es auch ganz ohne Papier erstaunlich gut.

Hygiene I

Nach fünf Wochen Indien sowie ähnlich langem Aufenthalt im (semi-)arabischen Raum plus Russland scheint die Zeit gekommen für ein kleines Zwischenfazit in Sachen Hygiene aus geographischer Perspektive und mit einem besonderen Fokus auf der Absolvierung des Stuhlgangs. Wer zart besaitet oder gerade auf dem Weg zu Speis und Trank, der könnte an dieser Stelle innehalten, bzw. sich auf eine spätere Lektüre vertagen. Teil I einer schonungslosen Aufklärungsreportage (mit Fotos).

Russland
Unspektakulärer bis ernüchternder Beginn in Moskau: Premierencouchsurfer Georgy hat Bad und Klo komplett von Bosch ausstatten lassen, einzig die Spülkraft in der Schüssel lässt ein wenig zu wünschen übrig, führt aber nicht zu größeren Problemen. Lediglich die Papierdosierung vor der Erstspülung muss bedacht werden. Ähnlich – wenn auch nicht mit Bosch – sieht da Bild bei Marina und Tim aus, zudem bieten McD und Co. sehr einladende Infrastruktur, Papier ist üblicherweise in ausreichenden Mengen vorhanden.
Kleine Ausnahme in St. Petersburg: Bei Renat in der 4er-WG scheint die Putzdienstübersichtstafel verloren gegangen zu sein (ich selber besitze leider keine WG-Erfahrung, kenne das Problem daher nur aus Erzählungen), was der Toilette einen gewissen Touch purer Funktionalität gibt (Foto). Grundsätzlich zeigt sich der Trend, dass Klo und Bad räumlich voneinander getrennt sind – das erleichtert morgentliche Abläufe und verhindert Koordinationsschwierigkeiten, guter Ansatz!

Türkei
Zu bemängelnder Wasserdruck ist das einzige Manko, was auch in Istanbul auf der Liste steht. Ansonsten sind die Armaturen im einwandfreien Zustand, die russische räumliche Trennung zwischen Klo und Bad ist jedoch überwiegend aufgehoben. Neu ist dafür die Installation einer nach schräg aufwärts gerichteten Düse am hinteren Schüsselrand knapp unterhalb der Brille. Diese wird separat aktiviert und unterstützt qua Wasserstrahl die Afterreinigung erheblich. Strahlkrümmung, bzw. -intensität können dabei meist manuell reguliert werden. Gute Erfindung!

Wirklich Neues gibt es aber im Nordwesten Anatoliens zu bestaunen: Die Symbiose aus Klo und Dusche (Do? Klusche?) – Loch im Boden, Düse in der Wand. Südfrankreichurlauber kennen zumindest das Prinzip des Lochs im Boden von dortigen kommunalen Campingplätzen. Die Ergänzung um eine Duschbrause in angemessener Höhe ist nur konsequent um der räumlichen Enge und steigender Baulandpreise in Alt Safranbolu Rechnung zu tragen... Klopapier ist aber – wenn auch in abnehmender Qualität – nach wie vor vorhanden.
Während sich Ankara mit Istanbul vergleichbar präsentiert, gibt es im Südosten echte Veränderungen: In Malatya verfügt Ahmet (mit "t") über das selbe Zwei-in-Eins-Sytem aus Klo und Dusche, wobei des Reisenden Taschentuchvorrat angebrochen werden muss, um in traditioneller Weise Spurenverwischung zu betreiben (traditionell werden hier Eimer und separater Wasserhahn verwendet). Zudem ist die häusliche Wasserzufuhr ab und an unterbrochen, was zu Problemen bei Papier- und Fäkalentsorgung führen kann. Dafür findet sich in einem Cafe der gehobenen Klasse ein Klomodell der Extraklasse: Europäischer Standard in bestens gepflegtem Zustand, dazu die Istanbuldüse UND qualitativ hochwertiges Papier! Nicht nur deswegen hat’s mir dort gefallen.

Neue Erfahrungen dafür in Sanliurfa. Das örtliche Gasthaus, in dem ich für zwei Nächste untergekommen bin, verfügt noch über das mittlerweile altbekannte Duschklo-Modell, hält aber auch ein europäisches Modell bereit. Eng wird es dagegen beim nächtlichen Cafebesuch mit Yusuf und seinen Kollegen. Ohne Taschentücher in selbiger aber Grummeln in der Magengrube geht’s aufs nicht so stille, weil öffentliche (10 Cent Gebühr), Örtchen. Loch im Boden, Blecheimer vor der Nase, Hahn in der Wand – und kein Alternative in Petto.
Da bleibt nach rund einem Monat auf Reise erstmals nur der beherzte Griff ins Wasserbehältnis und anschließend der weitaus beherztere gen Heck. Das muss natürlich (zwecks Erfahrungsgewinnmaximierung) passieren, wenn meine über Wochen so stabile Verdauung erstmals randaliert. Augen zu und durch, wer weiß, was noch alles kommt. Augen zu ist natürlich keine gute Idee, schließlich wird ja üblicherweise durch flüchtigen aber prüfenden Blick aufs Papier festgestellt, was bereits an Spuren entfernt, bzw. noch zu entfernen ist. Das gestaltet sich ohne Zellstoff in der Pfote weitaus komplizierter, weshalb der besorgte Besucher lieber einmal zu oft als zu wenig wischt...

Libanon
Wenig Spektakuläres im Land der Autobomber. Untergebracht im Deutschen Orientinstitut sind die Toiletten wenig überraschend europäisch angehaucht. Was sich allerdings aus der Türkei durchgesetzt hat ist die Rektalbrause, die nicht nur im Beckenrand fixiert sondern auch frei hängend (und mit Schlauch) genutzt werden kann. Per Knopfdruck wird hier ein unterschiedlich starker H2O-Strahl gen Rektum gerichtet, der – weil frei hängend – in pucto Aufprallwinkel und Zielgebiet variiert werden kann. In Kombination mit Klopapier die bislang wohl effektivste Form der Rektumsreinigung – wenn der Strahl nicht zu stark gekrümmt ist.

Demnächst: Teil II (mit Indien)

Knisternde Erotik

Ashley und ihre Freundin hatten mich in Kalkutta gewarnt: Wenn ich mich mir in Konark den Sun Tempel mit kundigem Führer anschaute, so würde mir letzterer in einer Tour von Gruppensex berichten. Gute 36 Stunden später erfahre ich zwar zunächst, dass mal wieder der Kolonialherr schuldig ist, dass der größere Teil des Tempels (90 Meter hoch, überlebt hat nur der kleine mit 45 Meter) das Zeitliche gesegnet hat. Aber: Hier war der Portugiese am Werk, nicht der Brite, der kam erst später und hat die verbliebenen Türen zugemauert – auch nicht höflich.

Was aber Christiano Ronaldo ihm sein Urgroßvater am Tempel von 1250 sauer aufstieß waren nicht etwa die zahllosen versauten Kamasutra-Bumsbildchen, die König Dings damals in die Sandsteintempelwand meißeln ließ. Die hatten nämlich durchaus ihren Sinn: Fehlte König Dings nach bad luck im letzten Kriegsgewirr und daraus folgender Gewaltphobie bei der kommenden Generation doch eine adäquate Armee. Denn speziell die männliche Abteilung des kriegsmüden Jungvolks hatte sich von der elterlichen Generation losgesagt und ihr Leben der Abstinenz und des Mönchseins verschrieben.
Einfache Gleichung für König Dings: kein Müllemülle = kein Kinder = keine neuen Soldaten = das war’s dann wohl mit dem Königreich. Entsprechend musste der Bande das Prinzip des Koitus wieder nah gebracht und schmackhaft gemacht werden – so wurde beim kostenintensiven Tempelbau (am Ende mit Erfolg!) darauf geachtet, möglichst oft und deutlich auf die Existenz körperlicher Liebe in sämtlichen Ausführungen hinzuweisen.

Was aber störte nun den Kolonialisten, wenn nicht die mittelalterliche Meißelpornographie? Man munkelt, es war der große magnetische Stein auf der Spitze von Tempel dem Größeren, der die portugiesischen Kompassnadeln derartig zum Tanzen brachte, dass angemessenes Navigieren und kompetente Seefahrt nicht mehr möglich waren.
Dies drohte natürlich die Grundfesten des Kolonialismus zu untergraben, weshalb Ronaldo Senior und Co. flugs entschieden, „der Stein gehört wech!“ Aus der Abteilung „Kleine Ursache, große Wirkung“ entstammt nun die Folge. Königs Dings ihm seine Architekten hatten, gar nicht blöd, geschmolzenes Eisen benutzt, um die einzelnen Sandsteintempeleinzelteile klammerartig angemessen zu verkuppeln. Das Fe2-Klammergerüst wiederum, so die Legende, war auf die magnetische Wirkung des Steinchens (hihi) auf dem Dache angewiesen und erfuhr durch Entfernung des selbigen einen nachhaltigen Verlust an Steifigkeit.

Stein weg, Tempel weg – so das Ergebnis. Dafür konnte der Portugiese wieder unbehelligt vor des Subkontinents Ostküste seefahren. Zumindest so lange bis der Engländer sich in die ganze Geschichte einzumischen begann, aber immerhin hatte man wieder funktionierende Kompassnadeln.

Doch kurz zurück zur reichhaltigen Sandsteinpornographie, da haben sich aber tatsächlich ein paar Meister der Ferkelei ausgetobt: Von Mann und Frau über Hund und Pferd, Alt und Jung, zwei und mehr, Mann und Mann oder Frau und Frau (Homosexualität im Kamasutra also en vogue – das hat zumindest ein Großteil der Inder in bisschen vergessen!), alles dabei und leicht verständlich dargestellt. Kein Wunder, dass den Jungmönchen da wieder ein wenig der Säbel gejuckt hat. Derzeit ist der Inder wieder eher mit Geburteneindämmung beschäftigt, entsprechend sollte der Zugang zum Tempel beschränkt werden. Am besten durch Angleichung des Ticketpreises für Einheimische. Wenn nämlich auch die 250 Scheine (knappe 4 Euro) auf den Tisch legen müssen statt 10, dann dürften sich deren lüsternden Gedanken schnell in Grenzen halten...

Sperrstunde zum 28.

„Merci!“ zunächst einmal für die versammelten Glückwünsche Mitte des Monats!!! Mein erster Geburtstag außerhalb vertrauter Hoheitsgewässer konnte sich sehen lassen, war die Party doch größer als noch 2008 (Schlaufüchse werden derweil bemerkt haben, dass meine Berichterstattung den Geschehnissen zeitlich ein wenig hinterherhinkt)!
Gefeiert wurde standesgemäß in der Hauptstadt (obwohl ich ja eher Mumbai-Fan bin) im empfehlenswerten Stadtteil Vasant Vihar (South Delhi, dort geht allgemein mit Abstand am meisten) und das wie angedeutet in großer Runde. Denn: Gevatter Schicksal (Zufall? Gibbet nicht!) hat auf der großen Geige gespielt: 48 Stunden vor Ehrentag wird mir der Kollege Christian aus Aachen, studierend in Karlsruhe, vorgestellt – und der teilt mit Roger Moore, Timo Rosenberg und mir den Geburtstag...
Da hat wohl jemand (am Ende gar Derdaoben?) ein päpstlich wachsames Auge auf meine Reise geworfen, dass er mir sogar in Delhi einen Geburtstagsgenossen schnitzt. Erste Glückwünsche kommen allerdings des Morgens von CS-Muttertier Barbara und Mitsurferin Tiziana (ITA), die in Laos für die Welthungerhilfe arbeitet und in Indien urlaubt. Es folgt ein standesgemäßer Umzug durch die Straßen und U-Bahn von Delhis westlichen Vororten bis zum Kollegen Sunny, bei dem ich für die letzte Hauptstadtnacht unterkomme.

Die komplett versammelte Sikh-Familie gratuliert überschwänglich und spendiert eine Runde lecker Frühstück plus Tee und Kekse. Anschließend ist Cruisen angesagt, was in indischen Großstädten durchaus zeitaufwändig und mit reichlich Stillstand verbunden ist. Mit entsprechend wenig Aufwand (Last Minute Ticket nach Kalkutta organisieren, Turm angucken, Blumen für Borgmann bei mittellosem Straßenhändler kaufen) geht der Tag vorüber und der interessante Abschnitt kann beginnen.
Zielsicher wird mit drei Indern im Gepäck ein Schuppen mit Happy Hour Angebot angesteuert. Die drei Burschen sind heiß wie Frittenfett, endlich meine anderen Bekanntschaften kennen zu lernen – speziell die Abteilungen Germania und Italia sowie Couchsurferin Khush, die Christian und mich verkuppelt hat. In Fünfminutenintervallen (EIN WORT!) wird nach deren Verbleib gefragt, um dann, als Khush (die kann sprechen!) auftaucht, in kollektives Schweigegelübde zu verfallen – Redezeitkonto abgelaufen, die Bande kriegt trotz intensiver borgmannscher Konversationsinitialisierungsversuche (...) den Mund nicht mehr auf.

Bei der Ursachenforschung wittert der geübte Familientherapeut Auswirkungen des rigiden elterlichen Regimes: Denn solange nicht studientechnisch die Stadt gewechselt wird, bleibt der Junginder als solcher bei der Herde. Mit allen Konsequenzen, gegen die ein jeder deutscher Teenager rebelliert: Sperrstunde für die Rückkehr gen Heimat, kein Damen- (bzw. Herren-) besuch, wenn denn überhaupt etwas in Richtung Beziehung existiert.

Zur weiteren Personalkoordination (und um einen neuen Versuch der Konversationseinbindung zu unternehmen) wird die Lokalität gewechselt, wo Christian mit seiner Entourage (zu dritt) drinnen und mein erster Delhi-Couchsurfer Arjun draußen warten. Komplikationen jedoch beim Infiltrationsversuch: Die borgmannsche Shorts wird vom Wachpersonal als nicht ausreichend faschionabel eingestuft – wenn das der Brite wüsste!
Verbales Sperrfeuer der Kollegin Khush drängt die Sicherheitsbeauftragten allerdings zur Aufgabe, doch nicht bevor nicht ein weiterer verzweifelter Versuch der Geburtstagssabotage unternommen wird: Jungspund Arjun (18) dürfe nicht in die Restaurant-Bar (!), weil alloholische Getränke dort nur an 25-fach belenzte und aufwärts ausgeschenkt werden dürften. Erneute Verbalsalven vom Kaliber Khush (dann trinkt der Bursche halt nicht, außerdem liege das ja wohl im Kompetenzbereich des örtilchen Tablettträgers, den Hochprozentigen nur entsprechenden Altersgruppen einzuschenken) vereiteln auch diesen Versuch und tatsächlich wird Eintritt gewährt.
Die Geburtstagsgesellschaft wächst auf neun Teilnehmer und nach gegenseitigen Gratulationen zwischen den Geburtstagskindern kommt tatsächlich ein mit Liebe gebackener Geburtstagskuchen auf den Tisch – der wird selbstverständlich gemeinsam angeschnitten und kann auch an der Geschmacksfront viel!

Enttäuschende Performance allerdings von der Kompanie Mundtot: Sunny und Co. (die mir schon die eine oder andere Frikadelle ans Ohr gesabbelt haben - "I think Germany is very good country") finden nicht nur keinen Weg, das Sprachorgan zu öffnen, sondern kündigen gegen 22.30h auch an, aufgrund erster investigativer Anrufe von der Heimatfront so langsam mal den Rückweg zu selbiger antreten zu müssen. Das passt mir entsprechend schlecht ins Zeitkonzept und so lasse ich die schweigsamen Drei abziehen und verbleibe mit dem Rest der (redseligen) Gesellschaft.
Rückweg (gg. 1.30h) dadurch zwar aufwendiger, aber Khush übernimmt den Transport über mehr als 2/3 der Strecke und verfrachtet mich am Ende auch fachkundig in eine Autorikscha, die mich bis zur Casa del Sunny kutschiert (2.30h). Dort wird mir mitgeteilt, dass Mutter und Schwester ein Geburtstagsabendessen extra für mich gezaubert hatten, das ich nun leider verpasst hätte. Ist aber auch schwer zu erahnen, wenn niemand den Mund aufmacht...

Mittwoch, 21. Oktober 2009

Incredible India

Titelt die Tourismusbehörde und beschreibt damit auch Schlagzeilen wie diese: Feierabendverkehr – Bräutigam kommt zwei Stunden zu spät zu eigener Hochzeit. So geschehen in Delhi auf der Eheschließung von Shobi und seiner Frau, die – ist sich muslimische Hochzeit – an diesem Tag überhaupt keine Rolle spielt. Berechtigte Frage nun: Was macht Globalbummler Borgmann (mit seinen rudimentären Tanzkurskenntnissen, alles über Roland Kaiser hab ich verlernt) auf einer Hochzeit in Indien?
Einladung natürlich über Couchsurfing, Gastgeberin Barbara (65, Amerikanerin) ist quasi das Muttertier der örtlichen CS-Szene, in ihrem Fahrwasser gelange ich zu der sündhaft teuren Veranstaltung (>300 Gäste) im Railway Officers Club im Herzen von Indiens Kapitale. Mit Dekoration hat es der Inder offenbar, weniger allerdings mit förmlicher Kleidung. Das kommt mir entgegen, fühle ich mich dadurch dich nicht ganz so underdressed wie das bei vergleichbaren gesellschaftlichen Anlässen in der Heimat der Fall gewesen wäre...

Obwohl auch wir zu spät sind (nur 30 Minuten) bleibt dank durchschnittlichen Feierabendverkehrs genügend Zeit, das Büffet zu plündern, bis der Herr angehender Gemahl eintrifft. Entgegen lokalem Brauchtum wird hier nicht die Braut verschleiert (die sitzt dafür während der kompletten Zeremonie in abgeschottet in einem extra Raum), sondern der Bräutigam. Während der sich auf aufwändig geschmückten Bühne niederlässt und mit seinen Kollegen im Schneidersitz vor sich hin sitzt und auf irgendwas wartet, plündert die Gästeschar das Büffet. Die alte Regel „Gäste durch regelmäßige Nahrungszufuhr bei Laune halten“ wird hier mit vollem Einsatz befolgt!
Zur Freude meines Begleittrosses liegt mir der indische Standard bei der Gerichtswürzung und mir wird konsequenterweise alles auf den Teller gehauen, irgendwie nach Essen aussieht. Entsprechend gefüllt und mit Eisbecher in Hand verfolgen wir dann das groß angekündigte Ritual der Eheschließung, das nach wie vor ohne Braut – und für den ganzem Aufwand mit insgesamt zehn Minuten reichlich unspektakulär – abläuft.
Dreimal muss Kollege Shobi bestätigen, dass er seine Braut (vertreten durch ihren Onkel) auch tatsächlich heiraten will, dann ist die (arrangierte! Hier nach wie vor weit mehr als die Hälfte!) Hochzeit über die Bühne gebracht und die Gästinnen dürfen einen Blick auf die Braut werfen.

Nachdem Shobi eine weitere Stunde Fotomodell stehen muss dürfen er und seine Familie gegen Mitternacht dann auch endlich an den Futtertrog – runde vier Stunden nachdem wir angekommen sind! Weil zeitgleich das Büffet abgeräumt wird, besteht für uns kein Anreiz länger zu bleiben.
Tänzerische Unzulänglichkeiten blieben im Übrigen verborgen – Tanz und Musik gab es nämlich überhaupt nicht. Das kommt erst am Tag drauf, dann schmeißen des Bräutigams Eltern die nächste Sause, nachdem sich Muddi und Vaddi seiner Angetrauten mit der ersten Party gefährlich nah an den finanziellen Ruin begeben haben. Macht man hier halt so...

Freitag, 16. Oktober 2009

Inder Eisenbahn – endlich wieder flache Wortwitze

Fürsorge pur in Ex-Bombay (was jetzt bekanntlich offiziell Mumbai heißt, daran halten sich aber nur die wenigsten Inder): Vor meiner ersten Ausfahrt ins örtliche Stadtzentrum ratschlägt Couchsurfer Kurien (KC), mir sollte sich für die 2x20km hin und zurück ein Ticket 1. Klasse erstehen – im Interesse einer veritablen Chancenerhöhung beim Versuch die Wagontür zu durchschreiten.
Nun ist das Klischee indischer Vorortzüge ja bekannt und selbst im Klipper-Magazin schon ausgereizt worden, Zeit also, sich vom Vorurteil zu lösen und festzustellen, dass – wie so oft auf dieser Reise – es eigentlich ganz anders und gar nicht so schlimm ist. Optimismus versprühend wird also die Anreise gen Bahnstation Andheri vorgenommen, der Kollege von der Dreiradfraktion chauffiert mich für schlanke 15 Rupien (20 Cent, ca. 8 Minuten Wegstrecke) bis zum Ticketschalter.
Als Passagier 1. Klasse könne ich mich ruhig an der Schlange vorbeidrängeln, wurde mir mit auf den Weg gegeben, doch selbige hält sich in überraschend engen Grenzen so dass mir – ganz in der Tradition des aufgeklärten Kolonialismus – in Reih und Glied wartet. Preislevel der First-Class-Tickets lässt sich mit rund 150 Rupien doch als erhöht bezeichnen, vielleicht gibt’s dafür nen Mitropa-Wagen...
Gespannte Ruhe dann auf dem Bahnsteig, der sich minütlich füllt. Der Expresszug gen Churchgate, der soll es sein und der rollt auch wenige Minuten später schon ein. Köpfe und sonstige Körperteile hängen in loser Reihenfolge aus den Türen, der eine oder andere Fahrgast klemmt tatsächlich zwischen den Wagons (!) und die Meute auf dem Bahnsteig wird hektisch. Sobald Schrittgeschwindigkeit erreicht ist, hängt an jedem Eingang schon eine Meute von rund 40 Mann, die um die besten Plätze fürs Aufspringen kämpft. Wer jetzt nicht ARD-like in der ersten Reihe ist, der hat es schwer mit der Zugbesteigung.
Zumal der Ein- natürlich auch der Ausgang ist und zumindest ein paar Nasen hier auch entsteigen wollen. Das ist also tatsächlich purer Kampf, und wenn man erstmal in dem Strudel ist, dann gibbet auch kein Zurück mehr, unterdruckartig wird dann hineingesaugt. Ich allerdings nicht, habe den Anschluss schon im Ansatz verpasst und kann mir das Spektakel daher aus sicherer Entfernung betrachten. Warte ich halt zehn Minuten bis der nächste kommt. Mulmiges Gefühl allerdings beim Blick ins Innere – das sieht doch latent beengt aus...
Aber nützt ja nix, mir will in die Stadt und während der Zug 45 Minuten braucht, kann es mit dem Taxi (dann auch teurer) im Berufsverkehr schon mal 2 Stunden dauern. Beim nächsten Eintreffen wird also frühzeitig Rudelbildung adaptiert und in der Folge gnadenlos der Größenvorteil gegen den Eingeborenen ausgenutzt. Ellenbogen raus und rein in den Wagon – nebenbei bemerkt: wir reden immer noch von der 1. Klasse!
Drinnen dann das befürchtete Bild: ein wenig beengt isses schon. Umfallen unmöglich, festhalten trotzdem angebracht. Schon nach 35 Minuten wird es allerdings besser, dann wird Mumbai Central passier und vermehrt ausgestiegen. Vegetative Funktionen (Atmung!) laufen nun wieder deutlich einfacher.
Einfach gestaltet sich auch das Aussteigen – weil Churchgate = Endstation, ansonsten läuft das in etwa so ab: Man richte sich irgendwie so aus, dass Blickrichtung gen Ausgang deutet und bewege sich dann rund 50 cm näher gen selbigen. Der Rest geht dann von alleine – die Masse spült den ausstiegswilligen Passagier auf den Bahnsteig, austrainierter Gleichgewichtssinn hier übrigens von Vorteil, denn (mind tha Gap!) es geht ein gutes Stück nach unten.
Gesonderte Wagons gibt es übrigens für Frauen, die ein wenig (!) leerer sind. Bei der nächsten Tour teste ich dann mal den Unterschied in der 2. Klasse - der Mitropawagen zumindest wäre in Klasse eins wohl manövrierunfähig. Gelohnt hat sich die Tour aber auch weil das erste indische Hockeystadion gesichtet wurde!

Montag, 12. Oktober 2009

Daumen raus in Dubai

Da hat sich der Scheich aber mal was ausgedacht: Metro ohne Fahrer (damit es die laengste Metro der Welt ohne Fahrer ist), die eroeffnet wird, wenn erst fuenf von 30 Stationen in Betrieb sind (damit es die am schnellsten fertig gestellte Metro der Welt ist). Dafuer ist es drinnen klimatisiert, was ja an fuer sich positiv zu bewerten ist. Ab und an uebertreibt die Bande es hier aber auch. So werden die kleinen Bushaltestellen-Wartehaeuschen bei 35 Grad im Schatten auf schlanke 18 Grad runtergefrostet – was spricht denn bitte gegen 24 Grad? Spart Energie (ok, Geld spielt keine Rolle) und macht Schal und Mantel bei der Warterei ueberfluessig.

Aber gut, in der Metro zum Glueck kein Permafrost sondern vernuenftig temperiert. Dazu hat’s Loungemusik und Panoramablick. Alles schoen, so der erste Eindruck, schliesslich ist auch der Flughafen angebunden (zwar erst ein Terminal, aber da wollen wir mal drueber hinwegsehen) und von der Haltestelle „Financial Centre“ sind es nur zehn Minuten zu Couchsurfer Chetan (Inder, optimal fuer Vorbereitung auf Subkontinent).

Befluegelt durch den runden Gesamteindruck wird am letzten Abend in Dubai (mittlerweile gut erholt von den Todesnaehe-Erfahrung bei den Pharaonen) der kuehne Plan gefasst, den Rueckweg von der Palmeninselplantage (wenig Charme wenn man erstmal drauf ist, dann ist von Palme naemlich herzlich wenig zu spueren) gen heimischem Appartement (28. Stock – ich versuche meine Hoehenangst zu kurieren) metroisiert anzutreten.

Aber: Klarer Fall von „Rechnung ohne den Wirt gemacht“. Bei Eintreffen um 22.12 Uhr ist die Stationstuer fest verriegelt. Erster Gedanke natuerlich, wir haben doch eine der ausserbetrieblichen Stationen erwischt. Dafuer wird allerdings verdaechtig wenig gebaut und das Licht ist drinnen erstaunlich hell. Als dann der Wachmann die Treppe hinunterrollt und pantomimisch bedeutet, der Laden sei um diese Zeit geschlossen, fuehlt sich der Westeuropaeer im falschen Film.

Runde sechs Minuten vorher (22.06 Uhr!) ist die letzte Bahn abgerollt, eine weitere faehrt in wenigen Minuten in die andere Richtung, dann ist Schicht im Schacht. Weiterer Weltrekord: Die Metro mit den kuerzesten Betriebszeiten verkehrt in Dubai, mir bittet um Eintragung in das entsprechende Register! (Andere gesichtete Weltrekorde: Hoechste Bude von Welt – tatsaechlich gigantisch – direkt neben der groessten Mall wo gibt und der weltgroessten Fontaine)

Auch das klimatisierte Taxi faellt aus, denn die kleine Parkbucht (= Bushaltestelle) neben der Schnellstrasse wird fuer die naechsten rund 20 Minuten von Dubais Taxiflotte komplett ignoriert. Die Bus-Alternative wuerde uns mit drei Mal Umsteigen ca. eineinhalb Stunden spaeter grob in der Naehe der Heimat absetzen, bleibt also nur eins: Daumen raus in Dubai!

Was in Anatolien funktioniert kann in SimCity ja wohl nicht so schwer sein. Allerdings fehlt uns ein passendes Schild, so bleibt nur winken und freundlich fragen. Das hat nach rund zehn Minuten und vier Anlaeufen auch ziemlich prompt Erfolg. Der syrische zerzottelte Softwaredesigner Jay erbarmt sich unserer und will uns zumindest erstmal bis zu unserem Bus mitnehmen. Umgehend wird der Ritter von der Schnellstrasse ins Gespraech verwickelt und zeigt sich vorbildlich beeindruckt von meiner Weltreise. Mit Nachdruck wird gefordert, meinen Blog auch in angelsaechsischem Dialekt anzubieten und gut 20 Minuten spaeter werden wird direkt vor der Haustuer abgesetzt.

Fuer Jay ein Umweg von fast 45 Minuten, er muss naemlich in die komplett entgegengesetzt Richtung, wie Chetan mir erklaert. Wollte aber eben behilflich sein der Mann. Und berichtet, dass die Palmeninsel am Sinken ist, weil die Ingenieure bei der einen oder anderen Schaetzung daneben gelegen haben koennten. Ob’s stimmt? Keine Ahnung, aber vielleicht wuerde ein grossflaechiges Palmensinken de Scheichs ja einen Anreiz verschaffen, auch ein Absinken des Meeresspiegels zu initiieren (vielleicht durch das weltgroesste Ausfliegen von Wasser in den Weltraum oder so was). Auf jeden Fall mal drueber nachdenken!

Freitag, 2. Oktober 2009

Floehe und Alkohol

Gastspiel in Old Cairo: Anlaesslich des Besuchs von Weltenbummler Borgmann gibt sich Aegyptens staatlicher Flohzirkus ein Stelldichein auf selten gesehenen deutschen Fuessen. Die Bande stammt offenbar aus dem versifften Teppich vom Kollegen Mohamed, der (samt Entourage) fassungslos und zutiefst erschuettert ist, als ich vom Besuch der Kleinsttiere
berichte und umgehend Gegenmassnahmen einleitet.
Gegenmittel werden in Old Cairo auch schnell gefunden, eins heisst passender Weise „Insect Kill Max“ oder so aehnlich, riecht wie drei Chemieunfaelle am Aralsee und sollte nach einmaliger Anwendung saemtliche huepfenden Quaelgeister ins Zirkusparadies befoerdert haben. Doch mit den beisswuetigen Biestern ist es nicht getan. Der erstmalige Kontakt mit Klimaanlagen im hohen zweistelligen Bereich laesst das Borgmannsche Immunsystem nicht unangetastet. Spaetfolge: Erkaeltung im Anflug auf Old Cairo, zudem geht Ramadan zu Ende, was mit wenigen Ruhephasen dafuer ausschweifender Feierei verbunden ist.
Der kann sich auch Patient Borgmann nicht entziehen, zumal der Grossteil vom Old Cairos Festivitaeten in „meiner“ Wohnung stattfinden. Will heissen: Die gesamte Clique trifft sich am
letzten Ramadan-Abend in der Floh-Manege und begeht anlaesslich einsetzender Entfastung ein zuenftiges Besaeufnis. Dazu werden weder Kosten noch Muehen gescheut, Kollege
Mohamed sammelt die Penunzen ein, um beim oertlichen Alkoholhehler „guten Stoff“ zu organisieren. Als stolz die Buddel praesentiert wird, melde ich in meiner Funktion als Teilzeit-Alkoholiker leise Zweifel an Herkunft und Qualitaet des Whiskeys an, der auf den interessanten Namen „John Waler – Black Label“ hoert. Nein, nein, das sei der „gute“ Black Label Whiskey, beteuert die Fraktion der Ortskundigen und ich lasse sie in ihrem Glauben, auch wenn wir entdecken, dass das (ganz annehmbare) Gesoeff doch im Land der Pyramiden und nicht im Land der Seeungeheuer gebraut wurde...

Konsequenz des (auch rauchigen) Gelages: Am naechsten Tag verpennt Mohamed voellig verkatert DAS Gebet am ersten Morgen des Eid-Festes, der Rest schleppt sich mehr oder weniger lebendig gen Moschee, die geplante Abfahrt gen Bootstour zu irgendeiner Nil-Insel verschiebt sich um bummelige fuenf Stunden und meine verschollene Stimme wurde zuletzt irgendwo zwischen „Black Label“ und Insektizid-Dampf gesichtet.
Dennoch ist die Bootstour ein absolutes Muss fuer die ganze Bande, denn nach rund einem Monat gibt es auf den Kaehnen mit Orient-Techno endlich wieder Frauen zu sehen. Deswegen wurde in den letzten Tagen klamottentechnisch schwer geklotzt, am Abend zuvor zudem komplett neu frisiert und rasiert sowie zumeist eine bleichende Maske fuer blasseren Taint aufgelegt. Auf Druck meiner oertlichen Reisegruppe wurde mir ein „egyptian style“ Bart verpasst, der hervorragend mit meiner nicht mehr vorhandenen Stimme harmoniert.

Ziel der Operation „Love Boat“ ist hauptsaechlich nachhaltiges Anbandeln mit dem anderen Geschlecht, was vor allem der frisch verlobte Mahmut mit unverkennbarem Nachdruck und nicht zu leugnendem Erfolg betreibt. Der Rest tanzt postalkoholisiert auf dem Techno-Deck, wo mir nach 45 Minuten der Tod durch Sonnenstich droht. Kurz vor unserem Einchecken an Bord soll ich trotz Stimmverlust aber wegen Postalkoholismus deutsches Liedgut zum Besten geben und entscheide mich selbstverstaendlich fuer eine sehr persoenliche Interpretation von Roland Kaisers groessten Hits, die auf erstaunlich durchschnittliche Reaktionen stoesst! Insgesamt aber fuehle ich mich auf dieser „Techno-Tour d’amour“ ungefaehr acht Jahre zu alt – erst recht, als wir die Sagen umwobene Insel ansteuern: Die bietet dem Einheimischen alles, womit ansonsten der Touri abgefuettert wird. Also ueberteuerten Fahrrad-, Pferde- und Kutschenverleih, mehr Orient-Techno in ueberfuellten Cafes, und das alles ohne Alkohol-Nachschub!
Waehrend Mahmut inzwischen auf der ganz grossen Geige spielt und der Rest auf Fahrraedern ohne Ruecktritt und Bremse im Kreis faehrt, bin ich mit Stimmband-Rueckbildung beschaeftigt und halte mich aus Gespraechen raus. Das klappt zumindest bis Mitte der Rueckfahrt auf der MS Bauchtanz ganz gut. Dann wird (mal wieder) eine Gruppe Fruehpubertierender auf meine Funktion als Auslaender aufmerksam und spielt mit dem Gedanken, ob ich der Rasselbande (13 bis 15) wohl guenstig ein paar Maedels verschaffen koenne. Steilvorlage fuer das Kabarett-Duo Mohamed-Borgmann, das meine stimmlichen Unzulaenglichkeiten gezielt als Paten-Imitation zu nutzen weiss. Als auch noch Kung-Fu-Kollege Hussein als Bodyguard vorgestellt wird, ist die Inszenierung perfekt und gut eine halbe Stunde lang wird das Bild vom europaeischen Maedchenhaendler aufrechterhalten.

Zwar bruestet sich der wohl noch nicht intimbehaarte Nachwuchs mit einem schier unglaublichen sexuellen Erfahrungsschatz („Warum braucht ihr dann jemanden, der euch Maedels organisiert“ – durchs Stellen von gezielten Fragen schaff’ ich erstmal Unbehagen), wird allerdings knauserig, als es um die Modalitaeten der Bezahlung geht (teuer und cash). Entsprechend kommt ein Geschaeftsabschluss nicht zu Stande, denn zu frueh wird das rettende Ufer erreicht, was meine Stimme zum Anlass nimmt, in den Nil zu huepfen und sich damit wieder komplett aus dem Geschehen zu verabschieden.

Auf dem Heimweg wird am Bahnhof schnell ein Zugticket fuer denselben Abend nach Luxor erstanden. Dort sollen sich Borgmann und seine Stimme in den naechsten zwei bis drei Tagen erholen und beim Ausflug ins koenigliche Tal ein wenig Entspannung finden. Kann ja so schwer wohl nicht sein.

Luxor per Zug

Truebe Laune macht sich kurz vor Abfahrt des Pharaonen-Express breit, als bei Rueckkehr in das Borgmannsche Domozil lebendige Floh-Rudimente entdeckt werden. Mit nicht zu verkennender Panik wird Rucksack eins (gross) bei Mohamed Mutti untergebracht (garantiert flohfrei) und Flohopfer Borgmann mit leichtem Gepaeck auf die Reise gen Hauptbahnhof und Luxor geschickt. Steine purzeln, als endlich Sitz 35 in Wagon 9 erreicht und die Klimaanlage offenbar dezent aktiviert ist.
Die geloeste Stimmung verfliegt allerdings binnen Minuten, als sich kurz nach Verlassen von Kairo Hbf ein zweiter Anwaerter auf „meinen“ Sitz zu erkennen gibt. Fachkundige Begutachtung meines (nur arabisch beschriebenen) Tickets durch den anrueckenden Schaffner enthuellt: Die Pappkarte ist unguenstigerweise fuer morgen ausgestellt. Ja Mensch, was ein Zufall. Erste Ueberlegungen des Zugpersonals gehen in die Richtung, mich bei der naechstbesten Gelegenheit raus zu werfen – ohne Ticket bestehe kein Befoerderungsanspruch...

Ich koenne allerdings (weil ja bezahlt und Kulanz des Personals) versuchen, mir einen anderen Platz zu suchen, was am ersten Tag von Eid schlicht unmoeglich ist, weil Aegypten geschlossen zur Familie oder sonst wohin reist und das ueberwiegend per Zug tut. Zur Auswahl stehen damit: Toilette (hm...) und die klassischen Zwischen-Wagon-Bereiche, in denen es zieht wie Hechtsuppe (super bei aufziehender Erkaeltung) und die schon dicht bevoelkert sind – speziell saemtliche Gepaeckablagen, die Schlaf halbwegs moeglich machen. Nach 20 Minuten Irrfahrt durch den Zug und penetrantem aber erfolglosen Nachfragen nach freien Plaetzen stolpere (immer noch stimmlos) ich in mein Schicksal, das auf den Namen Mustafe hoert. Der Junge Mann studiert Chemie an der American University of Cairo, parliert entsprechend fliessend Englisch und rettet mir kurzerhand gefuehlt das Leben. Nach kraechzender Darlegung meiner Lage bietet er umgehend an, seinen Sitzplatz mit mir zu teilen, versucht zuvor auf Nachfrage aber noch, mir einen Platz in Klasse eins (nie voll besetzt!) zu verschaffen.
Er fuehrt die kurzen Verhandlungen mit dem Zugpersonal, erklaert mir, wen ich mit wie viel bestechen sollte und geleitet mich zu meinem Sitz in Klasse eins, wo er noch zweimal (erfolgreich) weitere kurze Verhandlungen fuehren muss. Als er mich dementsprechend abgeliefert hat, schlafe ich (unbeschreiblich dankbar) sofort ein und wache eine Stunde spaeter auf, als Mustafa erneut neben mir sitzt und eine Tuete mit Obst, Apfelsaft und Keksen in der Hand haelt, die er mir an der letzten Station ergattert hat. Ich solle weiter schlafen und bei aufkommendem Hunger was zu futtern haben, sagt er und verabschiedet sich wieder in seinen Wagon.
Kurz vor seiner Station kommt er noch mal vorbei um sicherzugehen, dass ich in Ordnung bin, erzaehlt mir ein bisschen von seinem Interesse an deutschen Philosophen und macht sich in Qena (da wohnen seine Eltern) dann vom Acker – der Mann gehoert in den Heiligenstand erhoben!

Das geht meines bescheidenen katholischen Wissens nach allerdings nur posthum, hat also hoffentlich noch Zeit. Anders dagegen auf der Rueckfahrt nach zwei halbwegs erholsamen Tagen in Luxor. Dort achte ich penibel auf das Gueltigkeitsdatum des Tickets, das mir Touristen-Faenger Mohamed (ein anderer, die heissenhier alle so) auf dem Schwarzmarkt besorgt hat (weil Tickets auch am letzten Tag des Eid-Festes – was ein Timing – rar sind).
Datum, Zug (verspaetet wie immer hier), Wagon und Platz stimmen, allerdings ist es drinnen etwas frisch. Was soll’s Hauptsache ich bin morgen um sieben Uhr (geplante Ankunft 5.30h) in Cairo um meinen Flieger nach Dubai um 9 Uhr zu bekommen. Schreck dann aber gegen Mitternacht. Hinter mir faengt es laut an zu schreien. Ich tippe vom Geraeusch her auf Baby und versuche weiter zu pennen bis das Gebruell lauter und wird und Hektik im Wagon ausbricht. Der Schulterblick offenbart: Wer hier bruellt ist rund 40 Jahre alt, hat die Augen fest geschlossen, wird von Kraempfen geschuettelt und seine um ihn versammelte Familie ist in Traenen aufgeloest.

Als nach einigen Minuten immer noch kein Arzt zur Hilfe gekommen ist, frage ich mich gerade, ob die nicht Zug fahren. Doch da kommt ein Mann in Weiss und mit Kape auf dem Kopf herein. Der Baertige entpuppt sich allerdings nicht als Mann der Spritze sondern des Gebetsbuchs und faengt an, auf Teufel komm raus (...) auf den Schreienden einzubeten.
Ein wenig Wasser ist die einzige Medizin, die verabreicht wird, ansonsten wird eine halbe Stunde lautstark gebetet. Der Mann braucht keinen Prediger sondern einen Arzt, denke ich, will als einziger Touri im Zug aber auch nicht den ach so gebildeten Westeuropaeer heraushaengen lassen. Aber trotz aller Beterei hat es den Anschein, dass der Typ hier mitten unter uns stirbt. Seine Frau steht kurz vor dem Zusammenbruch, seine Mutter sitzt direkt hinter mir und hat das Gesicht in ihrem Umhang vergraben. Ruckartig reisst der Mann seinen rechten Arm in die Hoehe und deutet nach Oben. Will er sagen, dass er jetzt gen Himmel auffaehrt?
Weiter wird nur gebetet und der ganze Wagon schaut wie paralysiert zu. Wir halten zwischendurch an zwei Haltestellen und Menschen kommen und gehen – auch durch den Wagon. Was eine bizarre Szene. Aber nirgendwo wird der vielleicht Sterbende aus dem Zug und zu einem Arzt gebracht. Vorsichtig frage ich nach und bekomme nur heraus, dass die Familie auf dem Weg nach Kairo zu einem Spezialisten sei. Was genau dem Mann fehlt kann mir niemand erklaeren.
Nach gut einer Stunde werden die Schreie weniger und der Prediger laesst von dem Mann ab. Er ist nicht tot, sein Gesicht aber immer noch verkrampft, die Augen hat er waehrend der gesamten Zeit nicht ein Mal geoeffnet. Es scheint im besser zu gehen, denn die Anspannung im Wagon loest sich ein wenig. Die Menschen setzen sich wieder auf ihre Plaetze, versuchen zu schlafen. Irgendwann schlafe auch ich wieder ein, wache erst auf als es draussen schon hell ist und wir durch die Vororte von Kairo fahren. Der Mann schlaeft drei Reihen hinter mir, seine Frau haelt seit Stunden seinen Kopf.
Es ist Viertel vor sieben (eineinhalb Stunden Verspaetung) und ich rufe Mohamed an, der meinen grossen Rucksack zum Bahnhof bringen will, damit ich direkt zum Flughafen fahren kann und meinen Flieger noch bekomme. Eine halbe Stunde spaeter steige ich auf dem Zug, kurz hinter mir der Mann, der in der Nacht seinen Todeskampf gewonnen zu haben scheint. Er kann gehen aber sein Blick geht ins Leere.
Um 7.40 Uhr kommt Mohamed mit meinem Rucksack die Stufen von der Metro hoch gelaufen. Fuer unsere Verabschiedung haben wir zwei Minuten, dann springe ich ins Taxi, das mich mit Hoechstgeschwindigkeit zum falschen Flughafenterminal (2) bringt. Das stelle ich aber erst drinnen um 8.02 Uhr fest und muss knappe zehn Minuten zu Terminal 3 rennen. Dort bruelle ich „Dubai“ in Richtung Check-In-Schalter und hoer „closed, do you know what time it is!?“ Penetranz meinerseits setzt sich aber durch, ich kann die Schlange umgehen und um 8.25 Uhr einchecken, als das Boarding offiziell gerade beginnen soll. Gegen 10.30 Uhr heben wir dann mit 1,5 Stunden Verspaetung endlich ab. Auf nach Dubai – hoffentlich zum Entspannen und Erkaeltung auskurieren...